Im September 2019 sorgte ein Facebook-Posting von Angel Barrera für viel Zündstoff. Der Rohkaffee-Händler von Belco beschreibt darin detailliert, wie FairTrade-zertifizierter Kaffee in fragwürdigen Vereinbarungen unter dem Fair Trade Preis verkauft wird. Das funktioniert, wenn der Fair Trade Kaffee als Teil einer Mischrechnung mit konventionellem Kaffee verkauft wird.
Am Ende des Tages werden so Konsumenten in ihrem Unwissen ausgenutzt. Es ist ein brenzliges Thema, da es die Glaubwürdigkeit von Fair Trade in Frage stellt, die Röster in ein fragwürdiges Licht rückt und den Produzenten langfristig schaden kann.
Gleichzeitig ist es nur ein Anekdote eines viel grösseren Diskurses: wohin geht die Reise von zertifizierten Kaffees? Wie steht es um das Vertrauen der KonsumentInnen zu Labels? Braucht es eine neue Zertifizierung für “wirklich fairen” Kaffee, der ein living income garantieren kann? Wird das weiterhin über Labels gemacht oder leistet Blockchain in Zukunft diese Aufgabe?
Als Kaffeemacher haben wir den Anspruch, Komplexes zu verstehen, Unangenehmes anzusprechen, lose Enden in ein Ganzes einzufügen und das Gelernte weiterzugeben. Und so haben wir uns vorgenommen, mit diesem Artikel die verschiedenen Facetten rund um “Combos und Co.” abzubilden.
Wir sprachen mit FairTrade Max Havelaar, mit Großröstereien, mit Retailern, und mit Händlern und Produzenten, um verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu verstehen.
Um was geht es also in diesem ganzen Diskurs? Die kurze Antwort lautet – es ist nicht einfach. Die längere Antwort geben wir in strukturierter Art und Weise hier wieder.
Dazu haben wir für alle Röster eine “Selbstkontrolle” zur Verfügung gestellt. Vielleicht weiss man ja als Röster nicht, ob man Kaffee aus einer Combo einkauft? Raphael Studer, CEO von algrano hat für euch nachgerechnet. Mit Peter Lerch haben wir einen weiteren Experten gewinnen können, der die Fakten und Rechnungen im Gegencheck untersucht hat.
Alle Quellen behandeln wir anonym, ausser diejenigen, die uns ihr Einverständnis gegeben haben. Vielen Dank für euer Vertrauen, den Mut, die Ungerechtigkeiten anzusprechen und dabei deutliche Worte zu finden.
In drei Teilen besprechen wir, was die Herausforderungen und Chancen sind, und welche Wege womöglich aus dem Dilemma führen.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger
Es gibt eine spanische Version des Artikels. ->
Stell dir folgendes Szenario vor: du gehörst zu den circa 15 Millionen Kleinst-KaffeeproduzentInnen weltweit und produzierst Kaffee auf deiner Farm, die maximal gleich gross wie drei Fussballfelder ist. Du gehörst zu einer Kooperative, die dein zentraler Partner für alle Anliegen in Sachen Kaffee ist.
Die Kooperative gibt dir Zugang zu agronomischen Wissen, das dir sonst vielleicht verwehrt bleibt. Die Kooperative gibt dir die Chance, Setzlinge zu kaufen und günstiger zu Dünger und Pflanzenschutzmitteln zu kommen. Ebenfalls kauft dir die Kooperative deine Kaffeekirschen ab, verarbeitet sie zu transportfähigem Kaffee und bringt deinen Kaffee in die Welt. Die Kooperative kann für KaffeeproduzentInnen ein Tor zur Kaffeewelt sein. Ein Tor, das Zugang zu Märkten verschaffen kann, die du als Einzelperson nicht erreichen könntest.
Der Markt für FairTrade-zertifizierten Kaffee ist so ein Markt. FairTrade International zertifiziert Kooperativen, aber keine einzelnen ProduzentInnen. Die Bündelung von ProduzentInnen in einer Kooperative erlaubt es FairTrade, mehr ProduzentInnen auf einmal zu erreichen. und demokratische Strukturen in der Verkaufsorganisation zu etablieren. FairTrade kann so den einzelnen ProduzentInnen zu mehr Marktmacht verhelfen. Die ProduzentInnen selbst sind jetzt dazu aufgefordert, die Richtlinien von FairTrade International zu befolgen, um im Gegenzug ihren Kaffee als Fairtrade zertifizierten Kaffee vermarkten zu können.
Die Vermarktung unter dem FairTrade-, oder Max Havelaar Label in der Schweiz, garantiert einen Mindestpreis FOB von 140cts/libra (ein knappes Pfund: 0.457kg). Dazu kommt eine Fairtrade Prämie von 20cts/lb, die an die Kooperative ausbezahlt wird. Die Kooperative soll demokratisch über die Verwendung des Prämien-Pools verfahren und in langfristig angelegte Projekte oder nötige Infrastruktur investieren.
Jedoch bedeuten die 140cts/lb FOB nicht, dass auch alles bei den ProduzentInnen ankommt. Gemäss der Info einer Kooperative aus Peru kommen ca. 115 cts/libra bei der Kooperative an.
25 cts/libra werden für Dienstleistungen der Dry Mill, für den Inlandtransport und Finanzierungskosten gebraucht. Diese Kosten fallen auch bei anderen Kaffees an.
Fairtrade Mindestpreis FOB | 140 cts/libra | 3.08 USD/kg |
davon wird abgezogen | ||
Exporteur Ursprungsland (Truck, Paperwork) | ||
Services Dry Mill (schälen, sortieren, reinigen) | ||
Lagerkosten | ||
Finanzierungskosten für Kredite | ||
total Abzüge gemäss Co-op aus Peru | 25 cts/lb | 55 cts/kg |
Kooperative X bekommt vom FOB-Preis | ca. 115cts/lb | 2.53 USD/kg |
Kooperative X bekommt FairTrade Prämie von | 20 cts/lb | 0.44 USD/kg |
“140cts/lb sind eine Zahl, die lange als Grösse für gewaschenen Kaffee galt, zu welcher Kaffee kostendeckend mit einer kleinen Marge produziert werden kann”, so Peter Lerch in einem Podcast mit uns.
Diese 140cts haben jedoch an Wert verloren in den letzten Jahren, da Dünger, Lebenskosten und Arbeitskraft teurer wurden. Im Gegensatz zu dem Kaffeepreis an der Börse jedoch, haben die 140cts in den allermeisten Fällen in den letzten Jahren deutlich besser abgeschnitten.
Die Grafik zeigt, wann der Marktpreis höher als der FairTrade-Mindestpreis war (blau), und wann er tiefer war (braun).
Quelle: https://www.fairtradecertified.org/news/fair-trade-coffee-myths
In Zeiten, bei denen der erreichte Börsenpreis stark fluktuiert und immer wieder unter die psychologische Grenze von 100cts/lb fällt, sind diese 140cts/lb ein Segen für viele ProduzentInnen, weil sie einen Mindestpreis garantieren. Besser gesagt: wenn sie einen Mindestpreis garantieren.
Der Markt für Röstkaffee ist riesig. Mindestens jeder zweite Mensch auf dieser Erde trinkt Kaffee. Die Zahlen global konsumierten Kaffees steigen gemäss der ICO jährlich zwischen 1.5 und 3% . Auch in Europa steigt der Kaffeekonsum an, wenn auch weniger schnell als in den aufstrebenden Kaffeemärkten Südostasiens und Südamerikas.
In Europa scheint der Kaffeemarkt weitestgehend gesättigt – er geht weniger in die Breite, aber mehr in die Tiefe. Eine Diversifizierung des Markts geht seit Jahren in Single Portion Kaffees wie Kapseln, aber auch eine wachsende Lust für Bohnenkaffees, die in immer besseren Vollautomaten eingesetzt werden.
Interessanterweise unterscheiden sich gerade hier zwei Märkte, die uns in unserem Unterfangen besonders interessieren: der Deutsche und der Schweizer Kaffeemarkt. Die beiden Märkte weichen in einigen Punkten deutlich voneinander ab. In der Schweiz sind single portions der alleinige Marktführer im Endkonsumentenmarkt, während in Deutschland die “ganze Bohne” weiterhin, auch bei mehr Konkurrenzprodukten, der Verkaufsschlager ist.
Der Markt in Deutschland sei extrem preisgetrieben, so eine Quelle aus einer deutschen Grossrösterei. In der Schweiz seien wir manchmal etwas in einer “Kauf-Blase”. In Deutschland würde einfach weniger Geld ausgegeben für Lebensmittel, als in der Schweiz. Beim Kaffee sei dies nicht anders.
Der Deutsche Kaffeeverband bestätigt uns, dass nur 12% des gesamten Kaffees am Röstkaffeemarkt zertifiziert ist – darunter gehen Bio-, FairTrade-, Rainforest Alliance/UTZ-Zertifizierungen). Total FairTrade-zertifiziert in Deutschland sind es dann nur 4,9%. (Bestätigt im TransFair Jahres- und Wirkungsbericht 2019 – hier zum Download).
Von der Darboven Rösterei wissen wir aus einem Instagram-Chat, dass der Anteil FairTrade-zertifizierter Produkte auch bei diesen knapp 5% liegt. Darboven entspricht damit also einem Deutschweiten-Anteil, der aber immer noch erschreckend klein ist.
“Der Markt für Fair Trade-Kaffee entwickelt sich nur schleppend und wird nur minim grösser”, so eine andere Quelle einer deutschen, mittelgrossen Rösterei.
Für den deutschen Kaffeemarkt, der sich gegen aussen oft sehr nachhaltig und bewusst gibt, sind 4,9% Fair Trade Kaffees nicht viel. Und Irgendwie ist das ja das eigentliche Absurde am ganzen Thema: Fairer Handel ist für viele zum idealistischen Gradmesser für “korrekten Kaffeekonsum” geworden, die Kaufrealität sieht aber einfach anders aus.
Philipp Schallberger & Benjamin Hohlmann
Die Realität sieht sogar noch schlechter aus als angenommen. Nur rund 33,8% von FairTrade zertifiziertem Rohkaffee landet am Ende in einem als Fair Trade ausgewiesenem Röstkaffeeprodukt. FairTrade macht darauf aufmerksam, dass diese immerhin eine Steigerung von 15% seit 2016 sei. Und dennoch: Die restlichen 66% von FairTrade-zertifiziertem Kaffee müssen auf dem Markt konventioneller, also nicht-zertifizierter Kaffees verkauft werden – auch wenn sie alle Anforderungen für eine Prämie entsprechen. Und wer deckt diesen Verlust ab? Niemand. Noch mal und in aller Klarheit: es wird 66 % mehr Fairtrade zertifizierter Kaffee produziert, als Abnehmer vorhanden sind!
Der krasse Überhang an Fairtrade-zertifiziertem Kaffee löst dann auf Retail-Seite komische Blüten aus: immer wieder sehen wir, dass Fairtrade Kaffee in Supermärkten zu Sonderrabatten angeboten werden. Auch verschiedene Röster fangen an, die FairTrade Kaffees mit Rabatt zu verkaufen. Es fällt uns wirklich schwer, dabei die volle Überzeugung des Retailers oder Rösters für ein zertifiziertes Produkt zu sehen.
Gewiss, mit Lockangeboten für ein Produkt die Kunden in den Supermarkt zu holen, die dann wiederum andere Produkte einkaufen, bringt Zusatzverkäufe und hält die Kapital-Maschine am Laufen. Die Botschaft aber, dass man “fairen Kaffee” zu “billigen Preisen” bekommt, ist dann einfach falsch – weil es so nicht funktioniert.
Ja, wir beobachten einen Preisdruck von Seiten des Retailmarkts; ja, wir beobachten, dass billiger an vielen Punkten noch immer geil ist. Es gibt aber gewisse Produkte, wie z.B. FairTrade Produkte, die in diesem Wettlauf um die niedrigsten Preise disqualifiziert werden. Da können wir alle einen Diskurs um Nachhaltigkeit, faire Preise etc. hochhalten, aber wenn am Ende des Tages der Fairtrade Kaffee nicht mehr fair ist, betrügen wir uns alle selbst.
Du erinnerst dich an das Gedankenexperiment vom Anfang dieses Textes? Du als kleine/r KaffeeproduzentIn? Dann kehren wir dahin zurück, irgendwo auf eine kleine Farm in der Nähe des Äquators. Die Führung der Kooperative ist gerade in Kontakt mit potenziellen Käufern, die einen Fairtrade-zertifizierten Kaffee benötigen, am besten “einen Kaffee mit Geschichte” – als ob es Kaffees ohne Geschichte gäbe. Du als ProduzentIn bist Teil dieser Geschichte, ja noch viel mehr, nur durch deine Arbeit kann jemand weit weg eine Geschichte erzählen.
Die potenziellen Käufer analysieren die Lage klar: sie wissen, dass in ihrem Heimmarkt die Nachfrage an FairTrade-zertifiziertem Kaffee stagniert. Gleichzeitig sehen die Käufer, dass die Kooperativen-Mitglieder viel Kaffee produziert haben. Von ihren total 50 Containern, die sie jährlich zusammen produzieren, sind 25 FairTrade-zertifiziert. Der potenzielle Käufer braucht insgesamt zwei Container FT-Kaffees, sieht aber, dass seine Nachfrage geringer als ihr Angebot ist. Die Kooperativen-Führung sieht das auch – man ist ja schliesslich hombre de negocio (Geschäftsmann), wie uns Pablo (fiktiver Name), ein Vorsteher eine Honduranischen Kooperative, schilderte.
“Schau mal”, sagt Pablo, “wenn ich 2 statt nur 1 Container verkaufen kann, dafür aber 1 Container FT-Ware zum FT-Preis wegbringe, ist das gut. Es ist jedoch so, dass ich dann für den zweiten Container, für den mit der konventionellen Ware, einen rebaja (Rabatt) gewähre.”
Pablo, Honduras
Wir fragen, ob es ein müssen, können, wollen ist – “es ist halt so. Da machen wir dann eine Combo.”
Die Combo ist nichts anderes als ein Rabatt-System im Rohkaffee-Einkauf. Nur, wenn es Rabatt für gleiche Ware wäre, dann wäre es business as usual. Aber, wenn die zwei Verkaufskomponenten einmal zertifiziert und einmal nicht zertifiziert sind, dann macht das einem nicht nur stutzig – diese Methode höhlt das FairTrade-System aus, es pervertiert es. Ja, es begräbt die Gesinnungsverantwortung der Rohkaffee-Händler und -Käufer. Eine Combo heisst, dass der zweite Container (mit konventionellem Kaffee) für oftmals weniger als der Weltmarktpreis weg geht. Der Durchschnitt der beiden Kaffees ist dann oft so tief, dass die FairTrade-Prämie wieder futsch ist.
Peter Lerch dazu: “Die Praxis von Combos wird nicht nur mit konventionellen Kaffees ausgeübt, sondern auch mit Organic oder Utz zertifiziertem Kaffee. Ein Beispiel: Organic müsste bei ca. +40 cts/lb liegen wenn es allein verkauft wird. In der Combo kann es vorkommen dass bei +10 verkauft wird. Das gleiche für Utz. Der Preis sollte im Moment bei +30 liegen, der Kaffee wird jedoch bei +10 oder tiefer verkauft in der Combo.”
Peter Lerch
Eine Beispielrechnung
Peru, Grade 1, nicht zertifiziert: ca. 127 cts/lb (9.7.2020) | ||
regulär | in der Combo | |
nicht zertifizierter Kaffee | . + 30cts/lb (Markt)(Peru-Differenzial) | Ca. +10cts/lb (Combo) |
Marktpreis: 0.97 USD/lb per 9.7.2020 | 0.97 USC/lb | 0.97 USC/lb |
127 cts/lb | 107 cts/lb | |
Peru, Grade 1, FairTrade zertifiziert ca. 160 cts/lb (9.7.2020) | ||
Mindestpreis FOB | 140 cts/lb | |
FT-Prämie | 20 cts/lb | |
160 cts/lb | ||
Eine mögliche Combo würde dann so aussehen | ||
1 Container nicht-zertifiziert für 107 cts/lb (20 cts tiefer als Marktpreis)1 Container zertifziert für 160 cts/lbDurschnittspreis: 133.5 cts/lb für beide Container Die Kooperative hat also einen Verlust von 20 USC/lb für den nicht zertifizierten Kaffee. |
||
Eine korrekte Mischrechnung mit Marktpreis sollte so aussehen | ||
1 Container nicht zertifiziert für 127 cts/lb1 Container zertifiziert für 160 cts/lbDurchschnittspreis: 143.50‘Verlust’ für die Kooperative und schlussendlich den Bauern: USC10/lb |
“Besonders in Zeiten tiefer Weltmarktpreise kommen Combos verstärkt zur Anwendung, da die Differenz zwischen Weltmarktpreis und Fairtrade-Mindestpreis über 40% betragen kann”, so Simon Aebi von Max Havelaar Schweiz.
Das hat zur Folge, dass wenn die Preise richtig tief sind, sie durch Combo-Verträge der Einkäufer oder Trader noch mehr gesenkt werden.
Jedoch, mit allen Kooperativen oder Exporteuren, mit denen wir über Combos gesprochen haben, hören wir ähnliche Geschichten. Das Überangebot an FT-Kaffee ist so drastisch, dass viele Produzenten oft “froh” sind, wenn sie ihren Kaffee überhaupt noch weiterverkaufen können und nicht auf ihm sitzen bleiben. “Die meisten Kooperativen haben viele Zertifikate gleichzeitig und versuchen erst FairTrade Organic, dann FairTrade, Rainforest Alliance und UTZ zu verkaufen”, wirft Peter Lerch ein. Diese Reihenfolge ergibt sich durch die Höhe der Prämien.
Andere Kooperativen, mit denen wir gesprochen haben, sind wiederum einfach nur frustriert und haben den Glauben an ein System verloren. Dass dabei nicht “das System” per se die Verantwortung trägt, sondern diejenigen, die darin agieren, muss hier deutlich festgehalten werden.
FairTrade hat nicht die Rolle der Polizei. Fairtrade ist eine NGO. Die Kosten der Strukturen sind hoch, FairTrade ist auch eine Zertifizierungsmaschine, doch: Fairtrade ist so was wie die „Demokratie unter den Siegeln“ – weiss Gott nicht perfekt, für viele unzulänglich, aber doch etwas vom Besten, das wir haben.
Simon Aebi von Max Havelaar Schweiz äussert sich ebenso besorgt über die Entwicklungen unfairer Handelspraktiken. FairTrade International schaue dabei nicht einfach nur zu, im Gegenteil. Aebi sagt aber:
“Unfaire Handelspraktiken können wir nicht alleine über Vorschriften im Fairtrade-Standard und Audits lösen, sondern nur gemeinsam mit den Kleinbauernorganisationen, Händlern, Verarbeitern und Lizenznehmern. Um dieses Thema offen zu diskutieren, hat Fairtrade International am 23. Mai 2019 in Amsterdam zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Weitere Diskussionsrunden sind geplant. Bei diesen Gesprächen werden unfaire Handelspraktiken und deren Folgen offen angesprochen und Lösungsmöglichkeiten gemeinsam beurteilt und diskutiert.”
Simon Aebi, Commercial Director, Max Havelaar Stiftung Schweiz
FairTrade International distanziert sich klar von den Combo-Praktiken, besitzt aber kaum Handhabe, da es sich um Praktiken außerhalb des eigentlichen Geltungsbereichs der Fairtrade-Standards dreht. Aebi dazu:
“Bei den beanstandeten Kontrakten handelt es sich nicht um Fairtrade-Verkäufe, sondern um konventionelle Verkäufe, die unter dem Marktpreis abgeschlossen werden. Unserer Ansicht nach muss das Thema Combos vermehrt mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette thematisiert werden und alle Akteure müssen sich bewusst sein, dass unfaire Handelspraktiken langfristig zu einer Lose-Lose-Situation führen. (…) Fairtrade kann diese Herausforderung nicht alleine lösen. In der Verantwortung sind alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette.”
Aebi hat Recht – es geht um Verantwortung. Was an diesem Mechanismus lehrbuchmäßig nachgezeichnet werden kann, ist nämlich die Weitergabe der Verantwortung auf einer Warenkette.
Was diesem Umstand hilft, ist die Anonymität auf dieser Kette. Die räumliche Distanz zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen ist derart gross, dass auch das fröhlich lächelnde Gesicht einer Kaffeebäuerin auf der Packung nicht mehr Nähe erzeugen kann.
Zudem kauft man ja ein zertifiziertes, faires Produkt, also muss dafür auch ein fairer Preis bezahlt worden sein. Eigentlich ja, in der Praxis aber eben oft nein – es wurde oft nur ein Durchschnittspreis bezahlt.
Wenn wir also diesen Mechanismus zu Ende denken, werden die KonsumentInnen am Regal getäuscht. Sie kaufen Fairtrade-Kaffee ein, der zwar das Siegel verdient, weil der Kaffee selbst den Fairtrade-Richtlinien entspricht. Gleichzeitig werden sie aber Opfer von einem Mechanismus, der den Grundgedanken von Fairtrade aushöhlt. Genau an diesem Punkt ist fairer Handel nicht mehr fair – und Fairtrade selbst kann nur zuschauen. Vorerst – doch zu diesem Punkt kommen wir später.
Stellen wir jetzt die Fragen, die wir stellen müssen:
Die grosse Herausforderung bei Combos ist, dass es sich bei den beanstandeten Kontrakten nicht um Fairtrade-Verkäufe, sondern um konventionelle Verkäufe unter dem Marktpreis handelt.
Der Fairtrade Handelsstandard (https://www.fairtrade.net/standard/trader) regelt ausschliesslich den Handel von Fairtrade-zertifizierten Rohstoffen, nicht jedoch konventionelle Handelsgeschäfte. FLOCERT als Zertifizierungs- und Kontrollstelle prüft demzufolge in unabhängigen Audits auch nur jene Verkäufe, die zu FairTrade-Bedingungen abgewickelt werden (Bezahlung von Mindestpreis, Prämie, Zahlungsfristen, etc.). FLOCERT hat kein Mandat dafür, Handelsgeschäfte ausserhalb von Fairtrade zu auditieren. Diese Einschränkung macht es FLOCERT praktisch unmöglich, Combos in einem Audit aufzudecken und somit mit Fakten zu beweisen.
Simon Aebi
FairTrade möchte Combos verhindern, sagt Aebi, “da diese unfaire Handelspraktik Kleinbauern schwächt und somit klar der Philosophie von Fairtrade widerspricht.“ Nachfolgend einige Massnahmen, die Fairtrade bis jetzt umgesetzt hat, um Combos und anderen unfairen Handelspraktiken entgegenzuwirken:
Die zwei grössten Retailer der Schweiz, Migros und Coop, beteuerten, dass keine Kaffees aus Combo-Geschäften in ihren Regalen stehe. Die Migros-Kaffees werden von der Delica AG geröstet, die Kaffees von Coop werden mehrheitlich von UCC geröstet. Der Rohkaffee-Einkäufer der Delica, der Kaffeerösterei der Migros, versicherte:
“Solange ich den Kaffee für die Migros-Produkte einkaufe, wird es das nicht geben.”
Bruno Feer, Senior Purchaser Coffee, Delica
“Wir sollten die ganz Grossen fragen”, hörten wir immer wieder von Rohkaffee-Einkäufern. Nur, die ganz Grossen hatten bisher wenig Appetit, mit uns über diese Dinge zu sprechen.
In unseren Gesprächen hat sich etwas herauskristallisiert: in einem System, das dann funktioniert, wenn jeder mitmacht, jeder dem nächsten die Verantwortung weitergibt, dann hat der Rohkaffee-Einkauf die grösste Verantwortung. Denn das ist die Position, die schliesslich die Kaffees einkauft, möglichst günstig, um in den Zielvorgaben des Unternehmens zu bleiben. Der Rohkaffee-Einkauf weiss über das Combo-System – und wenn nicht, dann wissen die EinkäuferInnen, dass ein Fairtrade-Kaffee nicht so günstig sein kann.
Es ist die Position, die als einziger Akteur, wissentlich das System weitertreiben kann, in dem Kaffee eingekauft wird, oder nicht. Die Rolle des Rohkaffee-Einkaufs ist das Scharnier. Der Rohkaffee-Einkauf basiert zwar auf digitalen Tools, doch die eigentlichen Abmachungen passieren zwischen Menschen.
Wissen ist Macht und ist deshalb Verantwortung. Wer über solche Praktiken weiss, diese Macht ausübt, ist dafür verantwortlich. Ob also ein Combo-Vertrag durchgeführt wird, steht und fällt mit der inneren Haltung der verantwortlichen Person im Rohkaffee-Einkauf. Ja, auch diese muss unter Druck des Kunden nachgeben – wenn dieser weniger bezahlen möchte, dann ist das so. Und trotzdem fällt es auf den Einkauf zurück.
Der Kaffeehandel möchte Kaffee weiterverkaufen. Wer günstiger als seine Konkurrenz ist, hat Wettbewerbsvorteile.
Der Handel hat die Praktiken der Combos und Confidentiales eingeführt, um vorerst Vorteile für sich auszuarbeiten und das Margenpotential zu erhöhen. Nun ist dieses längst ausgenutzt und der Handel kann nur noch mit der Konkurrenz mithalten, wenn er bei den Ausschreibungen für Grossröster mitmacht. Natürlich hätte er auch die Möglichkeit aufzuklären und diese Praktiken zu verweigern.
Der Rohkaffeehandel hat sich in der letzten Dekade stark verändern müssen. Die Ansprüche gewisser Konsumentengruppen wurden höher, der öffentliche Druck auf transparente Warenketten wird stärker. Röster müssen teilweise mehr und mehr kommunizieren, woher der Kaffee kommt.
Noch immer reichen vielen Röstern romantisierende Geschichten und Bilder der Kaffeeproduktion für eine einfache Kommunikation aus. Wir spüren aber auch hier eine Veränderung. Mehr Forderung nach Transparenz heisst, dass sich der Rohkaffeehandel ändern müsste.
Einige kleinere Händler gehen voran und agieren als digitale, völlig transparente Plattform, und binden Blockchain in ihren Apparat mit ein. Andere wiederum, wie z.B. ganz klassische Agenten, praktizieren oft das Gegenteil. Wenn der eigene Anspruch, oder der Anspruch der Kunden keine Transparenz erwartet, dann steigt das Potenzial für eine schräge Geschäftspraxis.
Eine Quelle einer grossen deutschen Kaffeerösterei erinnert uns, dass im Trading immer ein Exporteur und ein Counterpart, der Importeur, zusammen arbeiten. Diese Verbindungen sind über Jahrzehnte gewachsen. Und mit dem Handel wurden auch die Personen älter – das vereinfacht die Arbeit aller natürlich sehr. Gleichzeitig gilt es auch da hinzuschauen, denn da, wo Wissen mit Macht zusammenläuft, dieses sogar exklusiv ist, ist das Potenzial für fragwürdige Geschäftspraxis höher, als an anderen Stellen.
Wir haben gelernt, dass Combos für viele Produzenten fast ein notwendiges Übel sind. Bei den Recherchen zu diesem Artikel haben wir allerdings noch was ganz anderes gelernt. Gehts noch absurder als Combos? Ja: die Rede ist von confidentiales.
Uns erreichte dazu diese Whatsapp-Nachricht von einer Quelle auf der Kaffee-Produktionsseite:
“Combos are to be differentiated from confidentials: with confidentials, the buyer only purchases fairtrade coffee, pays the Fairtrade price to the grower according to the official contract and then asks the grower to send the value of the „confidential discount“ back.”
Anonyme/r Kaffeeproduzent/in
Wir verstanden nicht genau, hakten nach, und es war wirklich so – ein Vertrag wurde für FairTrade Kaffee ausgestellt, denn dieser wird von FLOCERT überprüft. Die Zahlung erfolgt. Noch ist nichts fragwürdig.
Später jedoch wird in einzelnen Fällen vom Käufer ein “vertraulicher Rabatt” vom Exporteur eingefordert. Und warum?
“Oft deshalb, weil der Käufer einen Extra-Aufwand im Marketing des Fairtrade Kaffees habe, und diesen wiederum decken muss”, so unsere Quelle.
Anonyme/r Kaffeeproduzent/in
Das ist vor allem deswegen schlimm, da hier nicht mal mehr eine Mischrechnung gemacht wird und Volumen gepusht werden. Wir haben es gesagt – absurder geht es nicht mehr.
Es schmerzt sogar.
Wir möchten nicht in der Haut des Einkäufers stecken, der diese Verdrehung eines gut gemeinten Ansatzes auf Grund von Margensteigerung machen muss. Der Wolf of Wall Street lässt grüssen.
Die FairTrade-Zertifizierung wird auf Kaffees angewandt, die klar definierten Produktions-Standards entsprechen – jedoch nicht Qualitäts-Standards. Die uns bekannten Fairtrade-Blends in großer Menge sind in aller Regel Kooperativen-Blends und keine Microlots. Die Qualität reicht von gut, bis ordentlich, bis mit mehreren Defekten versehen.
Doch viele Einkäufer haben für FT-Kaffees weniger detaillierte Spezifikationen als für andere ihrer Kaffees im Sortiment und Qualität spielt für viele eigentlich eine untergeordnete Rolle, bestätigt eine Quelle bei einem der großen deutschen Röster.
Sollte ein Rohkaffee im Cupping Room beim Einkäufer nun aber trotzdem mit Defekten versehen sein, wir nicht selten ein Preisabschlag eingefordert – auch wenn die Qualität nicht im Vordergrund des Kaufvertrages stand.
Diese Praxis ist so nicht erlaubt.
“Selbst wenn der Kaffee 90 Defekte hätte, darf kein Abschlag für die Qualitäten gegeben werden”, so Lerch weiter.
Peter Lerch
Jedoch wird anscheinend oft ein Qualitäts-Discount eingefordert und der Kaffee nur unter diesen Bedingungen akzeptiert. Leider ist dies schwierig zu beweisen, da es in der Buchhaltung nirgends auftaucht.
In unseren Recherchen für diesen Artikel schwebte ständig ein Wort wie ein Damokles-Schwert über unseren Köpfen – Diskretion. Einige Röster forderten Diskretion ein, da man sich nicht sicher sei, ob der Kaffee nun eine Combo ist oder nicht und man “niemanden anschwärzen” wolle.
Die Händler forderten Diskretion ein, da sie “im Namen der Röster agieren”. Die Produzenten forderten Diskretion ein, weil es sie einfach am Härtesten trifft, sobald da Namen ins Spiel kommen.
Eigentlich absurd, nicht? Da wollen wir vermeintlich alle eine fairere Ausrichtung der Warenkette mit mehr Transparenz, mit besseren Bedingungen für alle, mit mehr von allem, was uns lieb ist.
Aber dann, wenn es an die Substanz geht, fallen wir in althergebrachte Strickmuster zurück, welche die Kaffeebranche im letzten Jahrhundert stark mitgeprägt und auch so lukrativ gemacht haben: Diskretion, Gentlemen’s agreements, heilige Kühe.
In diesen konkreten Fällen der Combos und Confidentiales aber haben Diskretion nur dann eine Berechtigung, wenn es gilt, Personen zu schützen. Das haben wir in diesem Artikel gemacht. Jedoch gibt es keinen Grund, die Sachlage nicht öffentlich zu machen und nicht zu erklären. KaffeetrinkerInnen müssen davon wissen und noch kritischer werden.
Es braucht Mut von allen Seiten, darüber zu sprechen. Vor allem von Produzentenseite merkten wir, wie delikat dieses Thema behandelt wird. Selbst bei mehrmaligem Nachhaken bei schon mehrjährigen Kontakten bekamen wir wenn überhaupt, nur sehr oberflächliche Antworten.
Ein Kontakt aus Honduras war jedoch offenherzig. Er schrieb uns, dass sie als Kooperative während mehrerer Jahre Preisnachlässe haben geben müssen, damit sie überhaupt Kaffee verkaufen konnten.
“Das habe nun aber nachgelassen, eigentlich passiere es nicht mehr (…) bis auf zwei Käufer, die jedes Jahr Rabatt einfordern für FT-zertifzierten Kaffee.”
Weitere Stimmen aus Peru bestätigen diese Praxis. Sowohl Peru als auch Honduras sind führende Kaffeeproduktionsländer in Sachen FairTrade-Kaffee.
Unsere Quelle führt weiter aus, dass die Prämien ja über den Exporteur zur Kooperative gelangen sollte. Nun ist aber nicht jede Kooperative gleichzeitige eine Exporteurin. An der Schnittstelle Exporteur-Kooperative kann es nun wiederum zu Irregularitäten kommen.
“Theoretisch müsste der Exporteur 100% der FT-Prämie an die Kooperative weitergeben – jedoch geschieht auch das in mehreren uns bekannten Fällen auch nicht. (…)” Der Exporteur behalte einen stattlichen Teil der Prämie bei sich und gebe einen Bruchteil weiter an die Kooperative.
Quelle aus Peru
Wir haben in den letzten Monaten von sehr vielen Einzelfällen gehört. Es scheint jedoch, dass diese Einzelfälle ein grösseres Muster aufzeigen und gar nicht so selten sind. Alle unsere Kontakte haben erwähnt, dass sie mindestens von Confidentiales, Combos und Irregularitäten “gehört” haben. Oft werden Combos mit großen Käufern gemacht, oder dann, wenn eine Kooperative neu als Verkäuferin antritt – also quasi als Willkommensrabatt.
Die genannte Quelle in Honduras brachte auch die Courage auf, uns zu schreiben, was sie präzise denkt und bringt das Dilemma auf den Punkt.
Los Combos son una forma injusta de comercializar el café de los pequeños productores. El mayor esfuerzo de los criterios de cumplimiento sucede a nivel del productor. Es a quien más exigen y quien más pierde con el tema de Combos. Una cooperativa busca el certificado FAIRTRADE, para buscar mejores ingresos a sus productores de la manera más justa posible. Pero cuando solo puedes vender el 50% de tu producción Fairtrade, como producto Fairtrade no es atractiva la certificación para los productores. FAIRTRADE debe supervisar mucho más a los compradores y Exportadores, para que la incidencia de los Combos siga ocurriendo.
Die Combos sind eine unfaire Praxis, Kaffee von Kleinproduzenten zu verkaufen. Den grössten Aufwand um die (von Fairtrade) geforderten Kriterien einzuhalten, haben die Produzenten. Sie sind es, die am meisten gefordert werden und welche am meisten verlieren durch Combos. Eine Kooperative lässt sich zertifizieren, damit sie höhere Einkommen für ihre Mitglieder generieren kann. Wenn du jedoch nur 50% deiner FT-Produktion als solche verkaufen kannst, dann ist die Zertifizierung nicht mehr attraktiv. FT muss die Käufer und Exporteure viel mehr überwachen um den Combos Einhalt zu gebieten.
Quelle aus Honduras
Nebst der Courage braucht es vor allem Visionen und eine glasklare innere Haltung, wie beispielsweise die von Bruno Feer, Rohkaffee-Einkäufer der Delica, der sich so klar wie kein anderer Einkäufer gegenüber uns äusserte, dass er Combos nicht toleriert, solange er Kaffee einkauft. Diese starken Überzeugungen brauchen wir. Der Einkauf muss als Expertenstelle über alle Praktiken Bescheid wissen, Offerten die auf Combos hindeuten dankend ablehnen und gewissenhaft handeln, gerade heute.
Was kann Fair Trade tun? Weiter oben hat Simon Aebi den Aktionsplan von Fairtrade aufgezeigt. Es tut sich was, wenn auch langsam. Mittlerweile können alle, die Hinweise auf unfaire Handelspraktiken haben, eine Beschwerde bei FLOCERT hier https://www.flocert.net/de/ueber-uns/qualitaet-und-einsprueche/ einreichen. Diese Offenheit von FairTrade Max Havelaar, zur mutigen Kritik einzuladen, gefällt uns.
Raphael Studer von Algrano hat mit uns gerechnet:
„Wenn eine Rösterei FTO (FairTrade-Organic, sog. doppelzertifizierte) Kaffees für 4.20 CHF/kg kauft, und zwar
FairTrade Bio zertifizierter Kaffee aus Peru:
FOB 1.90 USD/lb
+ Import nach Hamburg, inkl. Verzollung: 0.07USD/lb
+ Lagerung 6 Monate: 0.07USD/lb
+ Finanzierung 6 Monate: 0.04USD/lb
Auf ein Kilogramm zu einem Wechselkurs von 0.95USD/CHF hat der Kaffee somit einen Wert von 4.36CHF/kg.
Dabei ist der Kaffee noch nicht bei der Rösterei, es fehlt der LKW Transport. In die Schweiz noch einmal fast 0.1CHF/kg.
Der Händler hat also bei 4.50 CHF/kg für einen FairTrade Bio Kaffee noch nichts verdient.
Dann müsste vom Mindestpreis plus die transparenten Kosten ohne Marge Händler bei 4.60 CHF/kg sein. Abrufbar, ein Jahr lang, finanziert, transportiert, verzollt.
FTO-Kaffee unter 4.60 CHF/kg? Risky…
In diesem Artikel haben wir versucht, die vielschichtigen Realitäten im Zusammenspiel der verschiedenen Glieder entlang der FairTrade Kaffeekette aufzuzeigen.
Es ist komplex!
Und es muss sich noch weisen, welche Labels in Zukunft welche Aufgaben haben werden, und welche Zertifikate ihren Dienst geleistet haben und ersetzt werden.
Unumgänglich ist eine Einordnung der Aussagekraft eines Labels und die Überprüfung der Realität. Gebana hat hier zum 20 jährigen Bestehen einen mutigen und aus unserer Sicht zukunftsweisenden Schritt gemacht. “Es gibt kein faires Produkt, fairer Handel ist ein Prozess.”
Insbesondere für die Glaubwürdigkeit eines Zertifikates ist eine derartige Einordnung wichtig. Mehr zu verlautbaren als erreicht zu haben, schadet dem Vertrauen. Es bedarf großer Präzision in der Beschreibung der Massnahmen und der entstehenden Wirkkraft von Zertifikaten und Labels. Zugleich können wir Ethik nicht labeln. Wir brauchen Röster, die direkt mit den ProduzentInnen den Preis verhandeln.
Eine Folklorisierung von Bildern, wie z.B. von “traditionell Hand gepflückten Kaffees”, ist problematisch. Zwar kann durch das Pflücken von Hand eine besserer Qualität erzielt werden. Im Commodity Markt drückt sich dadurch aber nicht Qualität, sondern Armut aus.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger
Eine Präzisierung der Maßnahmen und Transparenz über die Wirkung ist insbesondere wichtig, wenn immer mehr kritische Nachfragen in den Medien auftauchen und sich auch zeigt, wie ein System durch Machenschaften wie Combos und Confidentiales unterhöhlt wird.
Fair Trade ebnet einen Weg. Das Siegel trägt dazu bei, dass ein Mindestverkaufspreis für Kaffees erzielt werden kann. Dieser ist in Zeiten von tiefen Börsenpreisen ein entscheidendes und wichtiges Fallnetz. In diesem Sinne müssen wir die Diskussion weiter führen.
Denn, die Fair Trade-Zertifizierung wurde ursprünglich dafür genommen, um ein komplexes Thema in ein einem einfach verständlichen Namen und Logo zu verarbeiten.
Die Ziele des Siegels helfen Produzenten aber nicht, den Weg aus der Armut zu finden. Sie sichern nur gegen noch mehr Not, in tiefen Börsenzeiten, ab. Wir müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, dass die Mindestvoraussetzungen des Fairtrade Siegels zum Mindeststandard für die ganze Branche werden.
Ähnlich wie für den “Grünen Punkt” muss beim Kaffee gelten, dass es unter den Standards des aktuellen Fairtrade Siegels nicht geht. Die Produktionskosten müssen mindestens gedeckt werden. Wirklich fair wird es dann, wenn dann noch was zum Leben bleibt.
Bezogen auf Grossröstereien könnte ein Massnahme sein, dass ein Fairtrade-Siegel ab 2022 nur noch von Röstereien ausgewiesen werden darf, die mindestens 30% ihres Kaffees mit Mindesteinkaufspreis kaufen. Ein entsprechender Zeitplan kann vorsehen, dass eine Steigerung der Anforderung bis 2030 verlangt, dass der gesamte Kaffee zu einem Mindestpreis der den Produktionskosten entspricht, eingekauft werden muss.
Das würde auch die Praxis eliminieren, dass sich Röstereien hinter “fairen” Eigenmarken verstecken, die bei genauerem hinsehen lediglich einen Bruchteil der nach FairTrade Standard eingekauften Kaffees darstellen.
Fairtrade reduziert seine Kommunikation, in dem es “fair” als Eindruck hinterlässt. Das Adjektiv “fair” ist aber kaum zu rechtfertigen und kann eigentlich nur verfehlen, in einem Zusammenhang wie der Kaffeeproduktion, die kontinuierlich von Ungleichheiten und unfairer Praxis durchzogen ist.
Der FairTrade Preis reicht in kaum einem Land, um die Produktionskosten, geschweige denn Lebenskosten zu decken und erlaubt noch weniger den Weg aus der Armut. Hier dem Konsumenten “feel good” zu vermitteln, ist eine problematische Tendenz, die den oft so üppigen und fröhlichen Kaffee-Kampagnen zu einfach in die Hände spielt.
Es ist Transparenz und Ehrlichkeit gefragt. FairTrade hat hier Nachholbedarf, wenn es in Zeiten von neuen und weitreichenden Impulsen einer Post-Zertifikats-Bewegung (siehe auch transparency.coffee) eine Rolle spielen will. Gleichzeitig hat FairTrade die wohl grösste Chance, die Zertifizierungs-Branche voranzutreiben.
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Austausch über Farmgate Preise und das Living Income, das Zusammentragen von Informationen über Produktionskosten und Lebenskosten die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es gibt hier viel zu tun und Fairtrade könnte mit seinem verzweigten Netz entscheidend dazu beitragen, diese Daten zu sammeln und zu einer weitreichenden Sensibilisierung beizutragen.
Eine Option könnte sein, dass FairTrade, mit der jetzt schon vorhandenen Dichte an Infos, diese öffentlich macht und das spezifische Living Income pro Kooperative publiziert. So wüssten KonsumentInnen und Röstereien gleicherseits, was die Lebenskosten an einem spezifischen Ort sind, und wie ein wirklich fairer Kaffeepreis dazu beitragen könnte.
Für den Kaffee können wir uns nur wünschen, dass wir, ähnlich wie das 2019 für den Kakao gelungen ist, einen ISO Standard für Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit definieren.
Dazu bedarf es Sanktionen von nationalen Kaffeeverbänden, zum Beispiel dem Deutschen Kaffee-Verband – denn, wo kein Kläger, da kein Richter. FairTrade alleine ist in einer schwierigen Position, mit einer schlechten Verhandlungsposition gegenüber den Röstereien.
Alle müssen mitziehen – die kleinen Röstereien, wie wir, können Stimmung machen und sind als Speerspitze eines angemesseneren Einkaufs in der Pflicht. Die Grossen, für welche Combos und Confidentiales wichtig sind, müssen handeln.
Dafür braucht es einen immensen Schulterschlusses aller Player im Handel. Weniger kann aber nicht unser Ziel sein.
Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger, Juli 2020
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
10 Kommentare
Bin soeben auf euren Artikel gestoßen, der wahrlich ein sehr aufschlussreiches Sammelsurium an Fakten zum Kaffeehandel bereit hält. Respekt für euer Fachwissen. Ich selbst bin seit über acht Jahren im Fairen Handel engagiert, unter anderem auch mit Kaffee, jedoch war mir einiges aus eurem Artikel bis dato nicht bewusst. Gelten eure Erkenntnisse auch für den deutschen Kaffeemarkt?
Viele Grüße
Christian
Grüße
Christian
Nun, ich muss gestehen ich habe etwas meine Mühe als Nichthändler die Hintergrund Mechanismen und Bedienungen zu verstehen und ins rechte Licht zu rücken... ...also verzeiht mir meine laienhafte Naivität.
Ein Grundproblem ist doch der niedrige Börsen Preis.
Die Frage ist doch, wieso ist dieser so niedrig? Da jeder Mensch statistisch 1-2 Tassen Kaffee am Tag konsumiert ist die Nachfrage also unfassbar riesig. Damit ein Preis bei dieser Ausgangslage derart in den Keller rutscht, dann muss es doch eine Überproduktion in einem derartigen Ausmaß geben, dass jenseits von Gut und Böse ist.
Prinzipiell neige ich dazu, solch aufgeblähte Systeme sich selbst "gesunden" zu lassen. Sprich wenn der Anbau von Kaffee nicht mehr lohnt, dann müssen eben einige Produzenten dran glauben, bis so viel Kaffee vom Markt verschwindet, dass die Preise sich wieder auf ein anständiges Niveau einpendeln.
Das Problem ist, dass dieser Genesungsprozess nicht gleich verteilt alle Beteiligten trifft, was bitter böse "fair" wäre, sondern die Schwächsten zuerst... ...die Kleinbauern aus aller Herren Länder zuerst. Es trifft nicht oder erst zum Schluss die Mega-Großplantagen in Brasilien und Indien.
Auf Kosten der Natur und Regenwald Rodung wird hier einige Jahrzehnte mit wenig Input (Dünger) große Erträge erzielt, die billig in den Markt gepumpt, dennoch genug Rendite abwerfen, dass es sich am Ende einfach durch die Masse wieder rechnet. Solange, bis der Boden ausgezehrt ist und man weiterziehen muss. (Überspitzt dargestellt).
Es trifft also die Ärmsten der Armen und wenn die verschwinden, sind 70% der Kaffeevielfalt, die wir schätzen verloren, bis es die trifft, die eigentlich schuld sind.
Wäre es nicht sinnvoller International zu belegen, dass der Börsengehandelte Kaffee Armut und Leid verstärkt und ein Verlust von Kulturgut darstellt, sodass dieser ausgesetzt/verboten wird?
Es fehlt dann der Börsen Vergleichsdruck was Raum für neue Preisgestaltungen brächte?
Keine Ahnung ob so etwas Sinn ergibt.
Was mich aber etwas traurig mach oder auch stört sind Begriffe wie "Living Income"...
Was bringt es mir, wenn ich Produzenten in Peru oder Honduras so viel gebe, dass es gerade so zum Überleben reicht und als keinen Bonus eben hier und da ein paar Solar Lampen oder ein Brunnen bei raus springen als Goodie?!
Schlussendlich wenn nach Living Income bezahlt wird, dann zementieren wir doch nur die Strukturen der guten alten "Kolonialzeiten" in neuen hübscheren Gewand.
Was bringt es lauthals zu verkünden, die Dunklen alten Zeiten der Sklaverei abgeschafft zu haben, wenn die Situation doch die gleiche ist wie damals: Menschen die nach wie vor gezwungen sind, wie blöd harte körperliche Arbeit zu verrichten, keine Alternative haben, da sie sonst nichts verdienen würden, und so optionslos eben alle bösen Spiele mitspielen die man ihnen abverlangt.
Ob ich nun durch die Peitsche meines "Herrn" damals umkomme, oder heute durch die vorgegebenen niedrigen Preise, wo ist da der Unterschied?
Umgekehrt sehen wir doch dasselbe Muster hier vor der eigenen Haustüre:
Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf ohne dass jemand wirklich nennenswert in den letzten 20 Jahren etwas daran geändert hätte, Mindestlohn hin oder her... .
Was ist der Unterschied zwischen einem Kaffeebauern, der tut was er tun muss um zu überleben, und einem Arbeiter hier bei uns, der zum Mindestlohn im Rewe die Regale auffüllt?
Oder jemanden mit 2 oder 3 Minijobs?
Oder Wochen und Monatelang als Saisonarbeiter hier auf engsten Raum haust, zum Mindestlohn Schweine im Großschlachtbetrieb zerlegt, um dann für 2-3 Monate zuhause in Rumänien "Überleben" zu können, bis es wieder an der Zeit ist wieder hier bei uns arbeiten zu müssen... .
Ein, zwei Dimensionen größer gedacht ist es das gleiche:
Entgegen besseren Wissen und Gewissen, auf kosten von Natur, nutzt man Ressourcen auf der anderen Seite der Erde anstatt die vor der eigenen Haustüre zu verwenden, einfach weil dort die Ressource Mensch so "pervers günstig" vorhanden ist (gravierende Armut und dadurch Bereitschaft für einen Hungerlohn zu arbeiten). Dazu weniger Kosten für Umweltauflagen, einfach weil dort keiner Kontrolliert und wenn doch, für ein Taschengeld weg sieht... .
Wir beziehen fast alles aus China oder schaffen fast alles dorthin (unser Müll z.B.), weil es dort so billig ist zu produzieren.
Auch wir "privilegierten", angeblich gutverdienenden Europäer sollen als Otto Normalo mit unserer Kaufentscheidung "Sooo viel Macht" haben und müssten uns nur für Bio oder Fair Trade entscheiden...
Mal davon abgesehen, dass von unseren 80 Millionen zig Millionen Arbeitslos sind, nochmal genauso viele Rentner mit Grundsicherung. Mehrere Millionen die zwar Arbeiten gehen, aber eben so großartige Minijobs im Rewe haben, dass sie vom Amt aufgestockt werden müssen. Am Ende sind wir bei fast der Hälfte der Bevölkerung für die sich "Luxus Fragen wie Bio oder Fair Trade" gar nicht erst stellen. Da stellen sich Fragen wie "Wie bezahle ich nächsten Monat die Miete, oder wie Kriege ich in 6 Monaten so viel Geld zusammen, dass ich mein Kind die Klassenfahrt ermöglichen kann.
Für den Rest von uns "Normalos" siehts zunächst erstmal besser aus, aber auch nur scheinbar.
Was wäre, wenn wir "unsere Macht" alle gebrauchen, mit den Füßen abstimmen, und nur noch Bio, Fair Trade, (sofern überhaupt verfügbar) nur noch Lokal einkaufen. Besseres Fleisch, dafür aber hochwertiger und weniger usw.
Würden wir also alles was wir heute "Böse konventionell und billig" einkaufen ersetzen, wären wir in der Situation, dass wir diese 100% gar nicht erreichen können. Wenn überhaupt maximal 50-70% weil dann "das viele Geld schon weg ist, aber noch so viel Monat übrig...".
Wenn ich also feststelle, dass noch bevor ich Probleme am anderen Ende der Welt angehe, vor der eigenen Haustüre bereits gravierende Probleme existieren, und dazu noch jede Menge mehr, wenn man erst anfängt genau hinzusehen, dann muss ich feststellen, dass das ganze System als Solches krankt.
Nicht erst seit gestern... ...schon seit Jahrzenten.
Die Mär von Billig-Billig, mehr Wachstum, EBIT, soziale Gerechtigkeit usw. geht doch schon lange nicht mehr auf. Nur will es keiner Wahr haben oder sehen, dort wo es am meisten anrichtet es entweder die Natur ist, die selbst ohne Lobby eben nicht "schreit"... ...oder es eben Menschen am anderen Ende der Welt zuerst trifft, die trotz Digitalen Medien und Menschenrechtsorganisationen eben nicht so laut schreien können, bis es hier bei uns überhaupt noch vernehmbar ist.
Und selbst wenn es hier der eine oder andere hört, geht es uns wirklich so viel besser, als dass wir mit unserer Kaufentscheidung wirklich so viel verändern können, wenn jetzt schon absehbar ist, dass ich damit eben nicht alles umstellen kann?
Rette ich diesen Monat die Kaffeebauern, die Glücklichen Eier aus Freilandhaltung, den Zertifizierten Fisch aus der Nordsee, nur um nächsten Monat wieder die "Bösen Produkte" zu kaufen, damit ich zur Abwechslung damit es "gerecht“ ist, Monates drauf dann eben die Faire Banane, das glückliche Schwein vom Metzger um die Ecke, den Apfelsaft vom Örtlichen Bauern kaufen kann?
Alles auf einmal ist wie gesagt ja nicht möglich.
Wem ist damit denn auf lange Sicht geholfen, wenn ich der Bösen Schlange nicht damit den Kopf abschlagen kann oder es so lange nicht durchhalten kann, um diese dauerhaft auszuhungern bis diese eingeht?
Erschwerend kommt hinzu, dass unser System als solches, ausgenutzt durch diverse Stellen mit Machtkonzentration darauf ausgerichtet ist, uns allen die Mär der Gleichheit zu suggerieren.
Alles kann noch so „bescheiden“ sein, solange es „Brot und Spiele“ für die Masse gibt, wird keiner ernsthaft etwas dagegen tun.
Es wird dafür gesorgt, dass wir alle genug mit uns selbst zu tun haben, viel zeit investieren müssen um unseren eigenen Teller voll zu bekommen. Die wenige Freizeit, die noch bleibt, wird mit Konsum und etwas Zerstreuung und Unterhaltung gefüllt damit wir am nächsten Tag wieder fit sind für eine neue Runde „Hamsterrad laufen“. Keiner mehr hat die Zeit oder die Kraft die nötig wäre, zwei Schritte zurück zu gehen, damit man nicht nur seinen eigenen Teller sieht, sondern auch die Teller der anderen und die ganze Tafel, die eigentlich mal reichlich gedeckt war.
Unser vermeintliche "Reichtum" der westlichen Welt, verdanken wir Maßgeblich historisch wie auch heute noch der Ausbeutung ärmerer Länder, die für weniger bereit sind zu arbeiten, eben weil sie müssen.
Der Begriff, wollen war nie im Spiel.
Wir können nur so leben, wie wir aktuell leben, weil wir politisch wie auch im Einzelnen privat gerne bereit sind wegzusehen. Nur so können wir unser angenehmes Lebens Niveau halten, in dem wir in Kauf nehmen, dass für unser Gehalt das wir bekommen, wir nur dann 100% einkaufen können, wenn das Meiste davon jemand in Drittländer hart für weniger erwirtschaftet hat. Wenn wir alles wirklich Fair haben wollten, könnten wir uns nur noch 50% leisten.
Was würde das bedeuten? Einschränkung an allen Ecken und Enden... ...kein Auto mehr, nur noch Bus und Bahn.
Einkäufe mehrere Kilometer weit schleppen. Keinen Urlaub mehr, oder wenn nur noch alle 7-10 Jahre. Nur noch alle 5 Jahre ein Handy und ein viel kleinerer Vertrag. Weniger Vielfalt im Gemüseregal. Fisch nur noch 2-3 Mal im Jahr.
Geburtstagsgeschenke gestrichen bzw. zusammengelegt mit Weihnachten und Ostern.
Und das geht noch sehr viel weiter, aber ich breche hier mal ab.
Das Grundproblem meiner Meinung nach (und die ist absolut nicht zu Ende gedacht da ich bisher noch keine Runde Lösung auch nur ansatzweise mir vorstellen kann) ist schlicht und ergreifend die Kapitalgesellschaft als solche, mit der Mär, des unendlichen Wachstums. Nur durch Wachstum kann das System stabil gehalten werden.
Aber woher soll es auf lange Sicht unendliches Wachstum geben, wenn wir in einer endlichen Welt, mit endlichen Ressourcen leben?
Dann wenn wir eben an die Grenzen stoßen und nicht mehr natürlich Wachsen können, müssen wir anfangen mit Kreativen Wegen (Tricks zu Lasten der Schwächsten) so zu tun als gäbe es noch Wachstum, indem wir anderen etwas weg nehmen und es als "Wachstum" verkaufen.
Selbst wenn wir hier versuchen "unser Teil" beizutragen, in kleine Schritte denken und gehen... "Wenn viele kleine Menschen, viele kleine Schritte tun können wir was bewegen"... wird es das Grundproblem NICHT lösen können.
Unser System als solches, das was uns von Grund auf beigebracht wird, ist per se schon falsch.
Überall hört man von „Chancen Gleichheit“ gleiche Voraussetzungen und wie all diese leeren Worthülsen auch heißen mögen.
Ich will keine Welt in der jeder „die gleichen Chancen“ hat. Weine solche Welt ist nicht gerecht!
Es bedeutet, dass angeblich jeder gleich bei 0 anfängt. Aber es bedeutet auch, dass auf dem langen Weg auch einige (warum auch immer) scheitern werden und unweigerlich und bewusst in Kauf genommen, verloren gehen.
Ich will keine gleichen Chancen für alle, sondern wirkliche Gleichheit und Gerechtigkeit für alle.
Ziel ist nicht dafür zu sorgen, dass alle gleich starten, sondern dass wirklich alle gleich gut und dauerhaft in jeder Lebenslage versorgt sind!
Eine Echte Lösung wäre es die Leute aus den Armen dritte Welt Anbauländern eben nicht wie Dritte Welt "Arbeits-Fleisch" zu behandeln, sondern wie Landsleute, Freunde, Familie.
So gut wie es mir geht, muss es auch denen gehen, nur dann kann es funktionieren!
Nur wenn ich Lebenssituation, Einkommen, Allgemeinzustand auf dasselbe Niveau hebe wie ich es genieße oder habe, schaffe ich es, Abhängigkeiten und Machtverhältnisse abzuschaffen oder soweit zu mindern, dass die Leute auch echte Lebensalternativen haben. Dann stehen eben nicht mehr 1000 Mann für 0,5USD/Tag auf dem Feld sondern nur noch 100 und der Rest geht Studieren oder macht was anderes was ihnen mehr liegt. Dann Steigen die Preise eben weltweit. Dann müssen wir wieder reagieren und schauen was wir dann machen.
Aber so etwas geht meiner Meinung nach nur, wenn wir auch politische Hürden und Schranken einreißen. Es würde eher Richtung "Eine Welt Regierung" gehen. Demokratisch aufgebaut Schwerpunkt auf soziale Belange und erst als nächstes auf wirtschaftliche.
Es sind tiefgreifende globale Probleme, die wir nur gemeinsam als Ganzes auch tatsächlich begegnen und lösen können. Solange jeder nur sein eigenes Süppchen kocht, auf seinen eigenen Teller sieht, unterschiedlichen Rechts und Steuersysteme gelten usw. werden wir es nicht schaffen.
Es müssen Dinge geschehen, eben weil sie vernünftig und logisch sind, sozial angebracht und nicht weil sie "wirtschaftlich" sind.
Das wir so einen Wandel hinbekommen hoffe ich inständig, verliere leider aber so langsam den Mut.
Aus Umweltsicht geht und langsam, aber sicher die "Zeit" aus. Die Ressourcen sind fast alle aufgebraucht oder kurz davor. Politisch wird sich kaum eine Mehrheit finden "den Anderen" genau das Gleiche zukommen zu lassen wie uns".
Es bedeutet Jahrzehntelanger Verzicht bis die Anderen soweit sind bis sie auf "Augenhöhe" sind... ...und keiner will verzichten (müssen). Und selbst wenn wir das erreichen wollen, bedeutet es in unserer aktuellen politischen Welt, dass wir uns unsere eigene Konkurrenz von Morgen gerade anfangen "groß zu füttern" anstatt klein zu halten.
Man stelle sich ein Afrika, Süd Amerika vor, mit genau so viel technischem Know How, wie USA, Europa, China... ...was für eine Konkurrenz!
Dazu noch, wenn diese aktuell 3-4 Milliarden Menschen auf gleiches Niveau aufholen wie wir es gerade haben... ...gut Nacht Umwelt, Weltklima... ...so krank ist unser Konsum schon heute, wenn wir technisch und ressourcenmäßig nicht mal in der Lage sind es allen "gleich gut" zu machen!
Sicher mit Zeit kommt Rat... ...aber so viel Zeit haben wir nicht (mehr)!
Das perverse am Verzicht ist, dass wir wie gesagt Jahrzehnte verzichten müssten bis alle gleich aufgeholt haben mit uns. Wir "die Anderen" also subventionieren und fördern in einem noch nie gekannten Ausmaß, wenn wir es wirklich ernst nehmen... . Aber keiner will diesen Verzicht so lange aushalten.
Im Umkehrschluss stelle ich aber historisch die Frage, wie viele Jahrzehnte wir an "den Anderen" durch Sklaverei, Ausbeutung an Menschen und Natur usw. verdient haben, dass es uns überhaupt so gut geht wie es uns heute eben geht?
Ich sage wie es ist: Ordnet man die Historischen Gegebenheit richtig zu, und dazu noch das Ausmaß der menschlichen Ausbeutung, die wir heute noch betreiben, stehen wir westliche Menschen über Generationen noch in der Schuld dieser "armen Länder".
Deren "Kredit" ist unser Wohlstand von heute.
Insofern sind wir jetzt eigentlich schon überfällig dran mit Verzicht, ob wir wollen oder nicht!
So viel zum Thema "Living Income"...
...Hier muss man einfach sehen, dass der Erhalt eines Status Quo zwar an sich "löblich" ist nach dem Motto "dann bleibst der Laden halt zumindest am Laufen", es aber eine echt besch.... Lösung ist, wenn dieser Status Quo auf so einem miserablen Level ist (und bleibt) wie aktuell.
Was ist das für ein Leben als Mensch, Individuum? Wo ist mein ganz persönlicher Spielraum? Wo meine mögliche Perspektive, für die es sich wirklich zu leben lohnt und nicht nur ein "Überleben" ist?
"Living Income" ist zu wenig... es ändert nichts...
...aber Veränderung brauchen wir!
Wir ALLE, dort drüben, wie auch hier vor unserer eigenen Haustüre!
"Living Income with individual development potential" vielleicht?
Nun, all das soll keine Kritik am echt guten Beitrag von euch sein!
Ich wollte nur aufzeigen, dass unsere Probleme noch so viel größer, tiefgehender, vielschichtiger sind.
Ich frage mich einfach, ob es sich lohnt an diesen Krisenherd zu arbeiten, quasi Symptome bekämpft, anstatt wirklich die Grundursache dieser Schieflage anzugehen.
Ich denke wenn man wirklich die Ursache abschafft, dann haben wir als Weltgemeinschaft fast 80% unserer aktuellen Probleme gelöst!
Vermutlich muss man wirklich beides gleichzeitig angehen, da sonst die Produzenten nicht so lange durchhalten können, bis die eigentliche Ursache beseitigt ist.
Was denkst du?