Seit 40 Jahren existiert der Begriff “Spezialitätenkaffee”. Er ist etabliert, jedoch braucht er eine zeitgemässe Einordnung. Was anfänglich eine technische, pure sensorische Analyse war, veränderte sich. Heute spielen faire Handelsbeziehungen und eine ökologischere Produktion eine immer grössere Rolle - doch die Erwartungen sind zu hoch. Denn am Ende sind es Akteure, die etwas tun: ein Begriff tut gar Nichts.
Um zu definieren, was etwas ist, hilft es manchmal zu sagen, was es nicht ist. Im Fall der Definition von Spezialitätenkaffee ist das einfacher. Spezialitätenkaffees sind zum Beispiel keine Kaffeespezialitäten - das, was oft in Verbindung mit exorbitant geschmückten Eisbechern oder Dessert-ähnlichen Kaffees gebracht wird. Spezialitätenkaffee bezieht sich ausschliesslich auf das Produkt Kaffee.
Spezialitätenkaffee ist zunächst einmal ein Qualitätsmerkmal, welches sich auf die sensorische Qualität und Güte des Rohkaffees bezieht. Ausgebildete Q-Arabica-Grader durchlaufen eine herausfordernde sensorisch-praktische Prüfung des Coffee Quality Institutes. In unserem Team haben Nadja Schwarz, Michel Aeschbacher, Benjamin Hohlmann und Philipp Schallberger die Q-Grader Ausbildung durchlaufen.
Wenn drei Q-Arabica-Grader einen Kaffee nach dem vorgegeben Cupping Protocol der SCA bewerten, gilt die Durchschnittswertung als finales Grading eines Kaffees.
Vor dem Verkosten lassen wir den Kaffee für vier Minuten ziehen und brechen dann die Kaffeekruste durch
Kaffees werden auf einer Bewertungsskala von 0-100 bewertet. Das Bewertungssystem wurde 1984 von der SCA entwickelt und war das erste 100-Punkte basierte System für Kaffee. Es wurde seither mehrmals optisch überarbeitet, die zu untersuchenden Kategorien haben sich aber kaum verändert. Heute ist das Formular der globale Standard, um Kaffee sensorisch zu bewerten.
Untersucht werden die Qualität und Intensität von Aroma, Geschmack, Nachgeschmack, Säure, Körper und die Balance der verschiedenen Attribute. Es wird ausserdem geprüft, ob der jeweilige Kaffee frei von sensorischen Fehlern ist, den defects. Phenolisch-medizinische, erbsige oder ledrige Noten kommen je nach Qualität und Aufbereitungsbedingungen immer wieder vor.
Der pure Fokus auf die Sensorik war vor allem in den Anfangszeiten der Differenzierung im Kaffeemarkt massgebend. Der Begriff selbst stammt von Erna Knutsen, mittlerweile eine Ikone der Kaffeebranche, die “specialty coffee” 1974 im Tea & Coffee Trade Journal erwähnte. Acht Jahre später wurde die SCAA, die Specialty Coffee Association of America, gegründet. Im Zentrum der frühen SCAA standen dabei eine hohe sensorische Qualität und - was heute ein Mindeststandard ist - die Herkunftsbezeichnung.
Gemäss dem Coffee Guide wuchs in den 1970er Jahren das Bewusstsein für Umweltprobleme, was Programme und Zertifizierungen mit einem Fokus auf ökologische Kaffeeproduktion hervorrief. In den frühen 2000er-Jahren wurde Qualität noch wichtiger, gepaart mit der Ausbildung für Baristas, der Transparenz auf Warenketten und dem Boom an neu gegründeten Kaffeeröstereien. Was heute als “dritte Kaffeewelle” zusammengefasst wird, meinte den noch strengeren Fokus auf immer höhere Kaffeequalität. Dies ist laut dem Coffee Guide aber eine Fehleinschätzung, denn:
3rd wave coffee sei eine Erfahrung, Spezialitätenkaffee sei das Produkt, das dabei getrunken wird. (S.142)
Heute fällt es deutlich schwerer, eine allgemeingültige Definition von Spezialitätenkaffee zu liefern. Der Anspruch, was Spezialitätenkaffee alles sein und erfüllen soll, wird immer höher. Vielleicht hat es damit zu tun, weil so oft die Trennung zwischen “Massenkaffee” und “Spezialitätenkaffee” gemacht wird, und dabei der erstere nicht nur mit schlechterer Qualität, sondern auch mit unfairen Handelspraktiken vermengt wird. Die Alternative dazu, so sieht es manchmal aus, wäre Spezialitätenkaffee, und hat dann all die verpassten Chancen im Massenkaffee besser zu machen.
Gemäss der Grafik aus dem Coffee Guide - The Fourth Edition (2021) steigt mit höherer Qualität auch die Chance auf nachhaltiger produzierten Kaffee. "Specialized" Kaffee wäre in dieser Definition nur mehr als 6% des globalen Kaffeevorkommens.
Dabei ist alles - wie so oft - weder schwarz noch weiss. Es gibt auch in der Kaffeebranche Grauzonen. Viele “Massenkaffees” können mit hohem ökologischen Bewusstsein produziert worden sein. Und das Gegenteil ist eben auch der Fall: viele Spezialitätenkaffees, also Kaffees, mit einem geschmacklich hohen Differenzierungsgrad, sind wohl lecker, aber wurden deutlich weniger ökologisch produziert. Oder wie Johanna Jacobi in einem Podcast mit mir sagte:
Es gibt Dinge, die man im Kaffee nicht schmecken kann. Zum Beispiel Kinderarbeit, oder Glyphosat.
Wie könnten wir etwas geniessen, von dem wir wissen, dass die sozialen und ökologischen Bedingungen nicht unserer Vorstellung entsprechen? Die Definitionsfrage ist immer mehr zur Wertediskussion geworden.
Die sozialen und ökologischen Dimensionen sind heute in einer Diskussion um die Kaffeequalität nicht mehr wegzudenken. Die allermeisten Röstereien würden wohl dazu tendieren, dass Kaffee nicht ausschliesslich sensorisch, sondern auch sozial und umwelttechnisch überzeugen muss.
Insofern muss der neue Spezialitätenbegriff wohl wirklich deutlich mehr aufgeladen werden und Nachhaltigkeit wird Teil davon. Nur ist Nachhaltigkeit ein grosses Wort und maximal unkonkret. So hilft es dann eben vielleicht doch, die Dinge zu trennen - wie in diesem fiktiven Beispiel:
In diesem Beispiel wird die sensorische Qualität klar von einem Anspruch an nachhaltiger Kaffeeproduktion und nachhaltiger Unternehmensführung getrennt.
Es hilft eben wenig, den Spezialitätenbegriff so gross aufzuladen, dass er immer unübersichtlicher wird. Wir haben uns als Rösterei dazu entschieden, nur Spezialitätenkaffee mit mehr als 80 Punkten einzukaufen, weil wir eine überdurchschnittliche sensorische Erwartung an Kaffee haben.
Bei unseren Partnern von 18 Conejo in Honduras wird der Kaffee von Hand sortiert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen - nichts vermischen.
Gleichzeitig zielen wir darauf ab, in jede Kaffeekette einzutauchen, diese zu verstehen und mit den Produzierenden eine Partnerschaft einzugehen. So können langfristig und zusammen grössere Projekte angegangen werden, welche die soziale, ökonomische und ökologische Dimension ins Zentrum setzen und zu verbessern versuchen. Würden wir diese zwei Interpretationen des Spezialitätenbegriffs, Sensorik und Nachhaltigkeit, vermischen, bringt dies mehr Unklarheit als Verständnis.
Grundsätzlich gilt also die Bewertung des Kaffees nur für Rohkaffee. Mit der präzisen Verkostung kann den Produzierenden ein differenziertes Feedback gegeben werden, damit diese ihre Nachernteprozesse verbessern könnten.
Natürlich lässt sich die Methode der Verkostung auch auf von Röstereien geröstete Kaffees anwenden. Hier ist aber festzuhalten, dass diese im breiten Markt zu dunkel geröstet werden, um zu einem klaren Ergebnis zu kommen. Durch die dunkle Röstung verliert Kaffee in der Regel an Komplexität und wird durch Röstnoten überlagert.
Juan Boillat vom Röstereiteam röstet nach individuellen Röstprofilen für jeden Kaffee
Viele Röstereien verzichten auf das Rösten von sensorisch komplexeren Spezialitätenkaffees, weil sie unter Umständen einen anderen Markt anpeilen. Denn der Geschmack von Spezialitätenkaffees kann sich marginal bis drastisch von einem durchschnittlichen Kaffee unterscheiden. Wenn Röstereien sich doch für diese Kaffees unterscheiden, rösten ihn viele eher dunkel, weil die komplexeren, floralen und fruchtigen Noten zu ungewohnt sind. Auch die erhöhte Säure in diesen Kaffees ist eher ungewohnt und motiviert viele Röstereien zur dunkleren Röstsprache. Wenn dann die feinen Unterschiede wieder eingeebnet werden, wäre es jedoch aus ökonomischer Sicht auch denkbar, “normaleren” Kaffee zu rösten.
Auch die Zubereitung von Spezialitätenkaffee kann manchmal etwas fordernd sein. Ja, es gibt immer mehr Spezialitätenkaffee Kapseln, dabei bleibt der Prozess der Zubereitung und das Verständnis, was dabei passiert, aussen vor. Es ist aber gerade das, was viele begeistert, wenn sie sich einem Spezialitätenprodukt nähern.
Die Eckpfeiler, die einen guten Espresso bedingen, sind in der Zubereitung:
Gerade hellere Röstungen, die durch die geringere Löslichkeit oft eine längere Extraktionszeit benötigen für eine balancierte Tasse, benötigen andere Rezepturen als dunkler geröstete Kaffees. In aller Regel können heller geröstete Kaffees deutlich feiner gemahlen werden.
Filterkaffee verzeiht etwas mehr, was vor allem mit der Länge der Extraktion zu tun hat. Diese liegt je nach System bei min. 1:30 Minuten (Aeropress) bis zu 5 Minuten (Chemex). Spezialitätenröstereien setzen bei Filterkaffees oft auf sehr charakteristische Kaffees, bei denen Aromen im Vordergrund stehen, und diese lassen sich einfach extrahieren. Um die volle Ladung an Balance zu extrahieren, braucht es dann jedoch mehr Detailverliebtheit.
Die Definition, was Spezialitätenkaffee genau ist, war mit der ersten Version des Cupping Formulars der SCA von 1984 in Stein gemeisselt. Diese Verkostung analysierte ausschliesslich die sensorische Komponente des Kaffees.
40 Jahre später, 40 Jahre mehr Klimawandel, 40 Jahre mehr Verschärfung prekärer Arbeitsverhältnisse und 40 Jahre an intensiver Landwirtschaft stehen wir nun an einem anderen Punkt.
Es ist verständlich, dass ein Konzept, das eine Differenzierung hervorruft, irgendwann mit noch mehr Erwartungen aufgeladen wird. Jedoch wird der Begriff nichts lösen, sondern nur die Akteure, die mit dem Begriff “Spezialitätenkaffee” hantieren. Insofern setzen wir auf eine klare Trennung zwischen sensorischer Analyse und der Gestaltung der Warenkette.
Wenn Spezialitätenkaffee so vermarktet wird, dass dieser alle Probleme lösen könne, dann ist das nicht nur ein Betrug an Konsumenten, sondern auch am Konzept selbst, das nie für eine Ausweitung gedacht war.
* Mehr zu Kaffee und Klimawandel in diesem Video
** Mehr zum Treibhauseffekt in diesem Blog
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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