Denken wir an Innovationen im Spezialitätenkaffee, dann denken wir meistens an Fortschritte bei Maschinen, Mühlen, Waagen und Röstern. Dinge, die uns helfen sollen, Kaffee besser zu machen. Aber an Fermentation?
Lucia Solis – eine führende Expertin in Sachen Kaffee-Fermentation (hier ein einführendes Interview mit ihr) – fragt also:
was, wenn es nicht Maschinen, sondern Mikroorganismen sind, also lebende Maschinen, die unseren Kaffee besser machen können?
Lucia denkt dabei an Hefen, Mikroben und Zucker. Die Menschheit benutzt seit tausenden Jahren Hefepopulationen um Brot, Bier, Wein etc. herzustellen. Warum also wenden wir dieses Wissen nur so spärlich oder gar nicht auf Kaffee an?
Bevor wir aber diese Frage beantworten können, rollen wir detailliert das Thema der Fermentation vom Anfang an auf. Was sie ist, was sie nicht ist, und was damit alles möglich ist.
Oft hört man von Röstern oder Baristas, dass der Kaffeesamen „gepflückt, entpulpt, fermentiert und getrocknet“ wurde. Muss das so sein? Nein. Kaffee muss nicht immer fermentiert werden. Oft geht es dabei nicht nur um Geschmack, sondern auch um die technische und finanzielle Machbarkeit.
Wir haben diesen Artikel in fünf Kapitel unterteilt:
1. Fermentation und Kaffee
2. Microbe-Climate statt Micro-Climate
3. Fermentation als Geschmacksbringer
4. Fermentation mit Starterkulturen
5. Kaffeemacher goes Science – Forschungsprojekt auf Santa Rita
Währende mehrerer Jahre habe ich an Barista-Meisterschaften juriert. Oft hörte ich von den Teilnehmern während ihrer 15-minütigen Präsentation davon, dass der Kaffee «entpulpt, fermentiert und danach getrocknet wurde».
Ersteres und Letzteres sind mechanische Vorgänge, welche ich auch bei früheren Besuchen auf Kaffeefarmen gesehen und verstanden habe. Der mittlere Teil aber, das «Fermentieren» des Kaffees, hat sich mir nie ganz erschlossen. Da gab es so viele Fragen, so viele Ungereimtheiten und so viele Meinungen dazu.
Ich wollte also mehr über dieses wichtige Thema lernen und habe mich in diese Materien eingearbeitet. Ich habe das gelesen, was die einschlägige Kaffee-Literatur bietet. Doch viele der gängig erhältlichen Infos ähneln sich, der Mehrwert scheint limitiert.
Um die wissenschaftlichen, präzisen Infos einzuordnen, benötigte ich etwas Zeit. Doch wenn sich all die wissenschaftlichen Begriffe mal setzen, öffnet sich da eine neue Welt. Dazu kamen zwei Ereignisse, die mir das ganze Thema plötzlich viel plastischer wahrnehmen liess:
Es ist nicht unbedingt eindeutig, dass Kaffee fermentiert werden kann. Und wenn, dann herrscht Uneinigkeit, was Fermentation bei Kaffee genau ist.
Wenn wir über Kaffee sprechen, haben wir oft die Bohne im Sinn und nicht die Kaffeekirsche. Für diesen und weitere Beiträge aber wollen wir Kaffee als Kirsche denken: also die Kombination von zwei Samen, umhüllt von Hornschale, Schleimschicht und Haut. Botanisch ausgedrückt: endocarp, mesocarp und exocarp.
In der Kaffeewelt wird Fermentation oft als mechanischer Schritt verstanden, um das Fruchtfleisch mitsamt dem Schleim (Englisch mucilage oder honey, Spanisch baba oder mucilago) vom Samen zu lösen. Eine der gängigsten Definitionen, vor allem bei Produzenten, geht so:
Der Kaffee ist dann „fertig“ fermentiert ist, wenn sich der Schleim von den entpulpten Kaffeesamen im Fermentationstank löst; dann, wenn die Samen im Fermentationstank beim Rühren eher knirschen und nicht mehr aneinanderkleben.
unpräzise Definition
Dies ist jedoch keine klare Definition, sondern eine höchst subjektive Wahrnehmung eines uneinheitlichen Prozesses, der von unzähligen Konditionen mitbeeinflusst wird. Lasst uns also für diesen mechanischen Schritt den Term demucilagination (span.: desmucilaginación) verwenden, also den Prozess, den Schleim vom Samen zu lösen. „Entschleimung“ wäre vielleicht das passende Wort auf Deutsch, nur klingt es nicht so hübsch wie der spanische Zungenbrecher des-mu-ci-la-gi-na-ción.
Nur weil Kaffee «demucilaginiert» oder eben entschleimt wird, muss er nicht fermentiert werden. Fermentation wurde von Wissenschaftern als Stoffwechsel definiert, also als biologischer Prozess.
Wenn man Fermentation nur als mechanischen Prozess betrachtet, umgehen wir vielleicht der Annahme, dass der Stoffwechsel der Mikroben begehrenswerte Geschmäcker im Samen hervorrufen können.
Fermentation bezeichnet die mikrobielle oder enzymatische Umwandlung organischer Stoffe in Säure, Gase oder Alkohol. In diesem Stoffwechsel wandeln Hefen und Bakterien (Mikroorganismen) Zuckerarten in Energie und aromatische Verbindungen um.
Definition Fermentation
In der Natur sind Mikroorgansimen bereits natürlich auf den Ausgangsstoffen vorhanden und kommen etwa bei der Spontangärung zum Einsatz. Die Fermentation erfolgt dann mit Hilfe dieser wilden Hefen. Die Herstellung von Naturwein oder Sauerteigbrot dient hier als Beispiel.
In der industriellen Fermentation dienen Reinzuchthefen dazu, die Fermentation besser zu kontrollieren und ungewollte und unerwünschte Nebenprodukte auszuschließen.
Wir bleiben noch ein wenig bei der Literaturrecherche: Wenn Wrigley (1988), Wintgens (2012) und die FAO (2008) über Fermentation bei Kaffee sprechen, dann geht es meist darum, Risiko zu vermeiden. Je länger die Kirsche nicht entpulpt werde, umso grösser sei die Gefahr eines Defekts.
Eine schnelle Entpulpung der Kaffeekirsche also könne das Risiko eines geschmacklichen Defekts eindämmen. Das heisst im Umkehrschluss: Eine verlängerte Fermentation bietet scheinbar keine Möglichkeit um die Aromatik zu verfeinern, sondern stellt ein grundsätzliches Risiko dar.
Wir müssen berücksichtigen, dass die genannten Autoren Standardwerke verfasst und generelle Empfehlungen für die breite Industrie gegeben haben. Als in den 80er- und vor allem in den 90er-Jahren immer mehr Kaffee produziert und verarbeitet werden musste, schaffte man Richtlinien, welche die Qualität des Kaffee von Tasse rückwärts zum Ursprung definierten.
Aus der Perspektive des Spezialitätenkaffees wirken diese Empfehlungen oft wenig präzise – aber vergessen wir nicht: Spezialitätenkaffee ist ein viel jüngeres Phänomen und vieles, was heute gemacht wird, funktioniert im Kleinen, selten aber im Grossen.
Was nun aber, wenn wir Fermentation als Instrument betrachten, Kaffeegeschmack noch besser zu machen?
Oder, wenn wir einer schlechteren Qualität mittels gezielter Fermentation zu mehr Wert verhelfen? Das Ziel sollte also sein, die Fermentation genau zu kontrollieren und nicht als unbekannte Grösse zu akzeptieren. Damit würden aus dem «Risikofaktor Fermentation» plötzlich die «Möglichkeit Fermentation».
Für die Produzenten bieten sich damit neue Möglichkeiten: wenn der Prozess der Fermentation erstmal genau analysiert und verstanden wurde, dann können sie eben dieses Wissen anwenden, um mehr Konstanz in die Kaffeequalität zu bringen. Defekte dürften weniger und neue Aromaprofile die Regel werden.
Um geschmackliche Unterschiede in Kaffees zu zeigen, verkosten auch wir meistens Kaffees aus ganz verschiedenen Regionen. Die Unterschiede findet man so besonders gut heraus, wenn die Kaffees nebeneinander stehen. Damit zeigen wir vor allem regionale Unterschiede, aber erklären weniger die Rolle, welche Einflüsse die Aufbereitung des Kaffees auf die Geschmacks-Entwicklung haben kann.
Die meisten Unterschiede zwischen Kaffees werden üblicherweise durch die Varietät, das Klima und die vorherrschenden lokalen Bedingungen erklärt. Dabei übersehen wir aber wohl den Beitrag der Mikroben (Hefe und Bakterien) welche im Prozess der Entpulpung einen grossen Einfluss auf die Geschmacksbildung haben können.
Fragen wir uns also: Wie läuft eine Kaffee-Fermentation genau ab?
Wir wissen nun, dass während der Kaffee-Fermentation die Zucker und die Stärke der Mucilage, also die den Samen umgebende Schleimschicht, durch Hefen und Bakterien (Mikroorganismen) geteilt werden und sich in Säuren oder Alkohol wandeln.
Für diesen Prozess braucht es immer beide Akteure: Hefe und Bakterien, denn letztere agieren mit der Hefe, bilden Enzyme und beginnen die Zucker in der Mucilage zu degradieren.
Hauptsächlich haben wir es hier mit Milchsäurebakterien zu tun, die besonders aktiv sind in der Mucilage-Fermentation. Fette, Proteine und Säure werden ebenfalls degradiert und in Alkoholsäuren umgewandelt. So ändert sich der Geruch, die Farbe, der pH-Wert und die Zusammensetzung der Mucilage.
Das Verhältnis von Hefe zu Bakterien ist im Hefe-Bakterien-Cocktail nie stabil. Selbst innerhalb derselben Plantage kann es zu gravierenden Unterschieden in der Hefe-Bakterien-Balance kommen.
Befindet sich zum Beispiel ein Teil der Plantage näher bei einem Kuhstall, so schwirren da noch ganz andere Mikroorganismen in der Luft, als wenn die Plantage direkt neben einem Bach liegt. Ebenso beherbergen reifere Kirschen mehr Bakterien und mehr Hefen auf ihrer Oberfläche.
Mehr Reife = mehr Zucker = mehr Hefen und Bakterien = mehr potenzielle Fermentation
Die Mikroorganismen befinden sich auf und in der Frucht und nehmen mit dem Reifestadium zu. Sie werden gleich nach der Ernte (oder durch Beschädigung der Kirsche) aktiv und erste Anzeichen von ungeplanter Fermentation können schon jetzt eintreten, wenn z.B. die Umgebungstemperatur hoch ist, die Kirschen nicht von einheitlicher Qualität sind, oder sie an einem Ort mit vielen Bakterien gelagert werden.
Die Zwischenlagerung reifer Kirschen in schmutzigen Körben, Eimern, Pick-up-Ladeflächen, Fermentations-Becken etc. bedeutet also immer eine Veränderung des Mikroben-Klimas. Jeder Kontakt mit Luft, Oberflächen oder der Haut (also eigentlich immer), verändert das Gleichgewicht des Hefe-Mikroben-Cocktails.
Wenn es das Ziel sein soll, dass die Kaffee-Fermentation immer völlig gleichmässig abläuft, dann gilt es nicht nur alle Prozesse vom Entpulper und danach zu betrachten, sondern eben auch vom Strauch bis zum Entpulper.
Nur die reduzierenden Zucker: Glukose und Fruktose. Und die machen nur ca. 20% der Mucilage aus.
Die kurze Antwort
Aber was passiert mit dem Rest? Die etwas längere Antwort:
Sobald die Kirsche durch einen Entpulper entpulpt wurde, liegen beide Samen mit einer sie umgebenden Schleimschicht (mesocarp) frei. Es ist dieser höchst zuckerhaltige Schleim, der «wegfermentiert» werden kann. Doch schauen wir uns mal genauer an, aus was dieser Schleim besteht.
Erst bei der Entpulpung der Kaffeekirsche tritt das Wasser nach aussen. Somit kann auch die Kirsche erst jetzt Wasser verlieren. Gleich nach der Entpulpung weist die nun die Kaffeesamen umgebende Schicht ca. 84% Wasser auf. Wo viel Wasser ist, haben wir auch eine hohe Wasseraktivität, d.h.: gelöste Stoffe im Wasser bewegen und reagieren schnell. Zu diesem Zeitpunkt treten also schon die ersten Stoffwechsel-Reaktionen in Kraft.
Ziehen wir nun mal die Feuchtigkeit ab und schauen auf die restlichen Bestandteile der Mucilage, ergibt sich folgendes Bild.
Der grösste Teil der Mucilage besteht aus Pektin (33%) und reduzierenden Zuckern (Glukose und Fruktose). 20% sind Sucrose/Saccharose, also komplexe, nicht-reduzierende Zucker. Die restlichen 17% bestehen aus Asche, nicht mehr reaktiven Materials.
Das Pektin
Das Pektin ist das eigentliche bindende Material, das den Schleim zusammenhält. Wir kennen Pektin vor allem aus Lebensmitteln wie Äpfeln, Quitten oder Tomaten, die natürlich hohe Pektinwerte aufweisen.
Durch den Stoffwechsel der Hefen fangen diese an, den Zucker in der Mucilage zu verarbeiten und produzieren dabei Enzyme, welche die Zersetzung der Pektine vorantreiben = Pektinolyse. Pektine sind Polysaccharide, also Makromoleküle und daher nicht wasserlöslich. Sie lassen sich jedoch mit wenig Wasser abspalten, der sog. Hydrolyse. Die Pektine bleiben im Fermentationstank im Wasser (hier Suspension) liegen.
Was aber nun wirklich fermentiert, ist nicht die ganze Mucilage, nicht das Pektin, sondern nur Glukose und Fruktose, die Einfachzucker.
Entpulpen wir 1 Tonne reife Arabica Kischen ergibt das ca. 120 kg Mucilage, die noch mit den Samen verbunden ist. Der Trocknungsprozess setzt ein und wenn wir uns das Wasser ganz wegdenken, bleiben wir zurück mit 50% Zucker: Fruktose, Glukose und Sukrose. Davon fermentieren nur Glukose und Fruktose.
Nur 5% der mucilage sind während der Fermentation direkt an der Bildung von sog. Aroma-Precursors (Aroma Vorstufen) im Rohkaffee verantwortlich. Doch diese 5% haben es in sich: bei unsachgemässer Fermentation können sich Defekte wie z.B. Stinker-Bohnen bilden. Bei kontrollierter Fermentation jedoch können gezielt Geschmacksnoten betont oder sogar neu gebildet werden.
Es ist erstaunlich: 5% der Mucilage sind während der Fermentation direkt an der Bildung von sog. aroma precursors (Aromavorstufen) im Rohkaffee verantwortlich.
Jedoch wird der Fermentationsbegriff in der Literatur meistens nur für die vereinfachte demucilagination gebraucht, der Einfluss auf den Geschmack wird kaum berücksichtigt. Dabei werden die Aromavorstufen (sog. aroma precursors) schon im Rohkaffee gebildet. Der Geschmack des fertigen Getränks ist also grösstenteils schon im Rohkaffee angelegt.
Das Rösten selbst ist verantwortlich für die Bildung von volatilen Aromen, die mehrheitlich durch eine komplexe Serie von Maillardreaktionen, Karamellisierung und anderen thermischen Reaktionen geschaffen werden. Durch das Rösten beeinflussen wir die Qualität des Röstkaffees, aber nur so weit, wie es der Rohkaffee zulässt.
Spätestens jetzt wurde klar, dass die Fermentation der mucilage unter kontrollierten Umständen einen Kaffee noch besser machen kann – aber nie muss.
Wie gut fermentiert wird, hängt von einer Vielzahl äusserer Umstände ab. Zuerst muss das Bewusstsein vorhanden sein, dass es sich hier nicht nur um einen mechanischen, sondern einen biologischen Prozess handelt.
Für eine gute, kontrollierte und stabile Fermentation sind folgende Kriterien unabdingbar:
Wir wissen nun, dass die Fermentation beim Kaffee nicht zwingend ist. Grössere Beneficios sind auf Effizienz getrimmt und müssen in kurzer Zeit viel Kaffee verarbeiten, d.h. Kirschen empfangen, die Qualität bestimmen, maschinell sortieren, entpulpen, wägen und trocknen.
Eines der grössten Beneficios, das ich seither besucht habe, war in Veracruz/Mexiko. In der Hochsaison werden da bis zu 140 Tonnen Kirschen verarbeitet. Pro Tag. Vom Moment, in dem die Kirsche entpulpt wird, bis sie im Trockner landet, vergehen gerade mal sechs Minuten. Dazwischen bleibt keine Zeit für eine Fermentation. Muss es auch nicht, da die heutigen Entpulpungsanlagen (despulpadoras) höchst präzise arbeiten und die Entschleimer (desmucilaginador) die Mucilage (fast) komplett beseitigen.
Die Kosten für die nasse Aufbereitung mit Fermentation ist ziemlich hoch: es braucht viel Energie, um die Maschinen zu betreiben. Das Wasser muss (resp. sollte) rezykliert und die Kanäle, Entpulper und Tanks sauber geputzt werden. Überall, wo Wasser steht, liegt ein Gefahrenpotenzial für Verunreinigung, die einen negativen Einfluss auf den Geschmack haben kann.
Die trockene Aufbereitung (sun dried, natural), bei der die ganze Kirsche ungepulpt am Samen getrocknet wird, ist auf grosser Skala deutlich günstiger. Bei Spezialitätenkaffees verhält es sich aber genau umgekehrt. In der Regel sind trocken aufbereitete Kaffees teurer, wenn sie denn hochwertig sind. Die Arbeit, die in die gleichmässige Trocknung der Kirschen investiert wird, ist enorm.
Wer selbst schon im Kaffeeursprung war, hat sicher schon verschiedene Aufbereitungsmodelle gesehen. Ich persönlich frage Produzenten immer gerne, «warum» sie dieses oder jenes machen. Oft fällt die Antwort dann aber dürftig und gleichzeitig vielsagend aus: «weil ich das schon immer so gemacht habe.» Dürftig, da der technische Informationsgehalt gering ist. Vielsagend, da offensichtlich noch viel Wissen transferiert werden muss, damit Produzenten noch mehr aus ihrem Kaffee herausholen können.
Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Der Produzent, der über jeden Schritt des Kaffeeanbaus und der Aufbereitung detaillierte Auskunft geben kann, und weiss, welche äusseren Einflüsse den Geschmack positiv oder negativ beeinflussen, existiert. Aber er existiert hauptsächlich in der Spezialitätenkaffeewelt, ist vielleicht sogar ausgebildeter Agronom, hat im Ausland studiert oder hat unheimlich viel Austausch mit Besuchern wie uns allen.
Wir dürfen nie vergessen, dass die grosse Mehrheit der Kaffeeproduzenten weder Spezialitätenkaffee machen, noch einen sauberen Entpulper zu Hause haben, und sie Kaffee wohl deswegen anpflanzen, weil sie es schon immer gemacht haben.
Eine von vielen Kaffee-Realitäten
Wenn wir also über aussergewöhnliche Fermentationstechniken sprechen, dann reden wir auch hier leider noch von einem Boutique-Gegenstand:
toll, meistens teuer und selten.
Jedoch kommen z.B. an den Barista Weltmeisterschaften so viele Kaffees mit speziellen Fermentationstechniken zum Zug, wie noch nie. Auf der Barista-Bühne scheint es heute schon fast als Standard, dass man Kaffees mit spezieller Fermentation für den Wettbewerb herbeizieht.
Zu Beginn dieses Artikels haben wir schon darauf hingewiesen – was, wenn wir die Fermentation genau verstehen und diese nun gezielt mit Hefen und Bakterien beeinflussen? Immer noch Chance, oder Ungeheuer?
Die kurze Antwort:
Und hier nun die längere Antwort:
Wir wissen nun: mehrheitlich wird Kaffeefermentation entweder als pure mechanische Funktion zur Loslösung der mucilage angesehen, oder eben als Gefahrenpool: eine Ansammlung von Risiken die auf dem Weg von der Kirsche zum getrockneten Kaffee lauern.
Wenn wir Fermentation als grosse Unbekannte betrachten, dann schliessen wir deren Fähigkeit aus, Geschmäcker auch positiv verändern zu können. Oft ist es heute aber so, dass eine Stinkerbohne in einem Cupping direkt mit der Fermentation verlinkt wird: «schlecht fermentiert», «überfermentiert», der Fehler liege in der Fermentation, nicht gut gearbeitet. Wir müssen hier aber präziser sein.
Es ist eine Realität, dass nur in den allerwenigsten Fällen «only the ripest cherries» (wie es Baristas an Meisterschaften gerne zu sagen pflegen) gepflückt werden.
Die Realität ist: die grosse Masse an angelieferten Kirschen ist oft inhomogen; unreif, halbreif, gut reif, sehr reif, zu reif; intakte Kirschen (geschlossene Exocarp) und beschädigte Kirschen (z.B. aufgesprungen durch Regen).
Sobald die Kirsche offen ist und mit Luft in Kontakt kommt, beschleunigt das eine unkontrollierte Fermentation. Also noch lange bevor die Kirschen entpulpt und dann in einem Tank fermentiert werden soll, können schon Fehlaromen (Defekte) im Samen sein.
Die Erklärung, warum eine Bohne «überfermentiert» sein kann, hinkt somit gewaltig und zeugt von einer Einstellung, dass die Fermentation alleine dafür verantwortlich ist. Aber nochmal: das Ausgangsmaterial, also intakte Kirschen, ist eine Grundvoraussetzung für einen leckeren, defektfreien Kaffee.
Die für die Fermentation verantwortlichen Starterkulturen (Hefe und Bakterien) wie oben beschrieben schon da – auf und in der Frucht, im Tank, in der Luft, auf der Haut, auf Blättern – überall. Die Zusammensetzung dieser Mikroben ist jedoch nie konstant, sie wird von Regen, Hitze, Sonne, Hygiene, kurz: dem Rundherum des Kaffees beeinflusst.
Diese fermentierenden Organismen benutzen die Pulpe als Energiequelle und produzieren hohe Werte an Ethanol, Essigsäure und Milchsäure, was den pH-Wert von ursprünglich 5.5-6° auf ca. 3.7-4.6° zu senken vermag.
Wenn die Faktoren pH-Wert, Temperatur und Zuckergehalt in der Kombination mit Varietät und Qualität der Kirschen korreliert wird, kann die Fermentation gezielt eingeleitet werden. Isolierte Hefe-Starterkulturen können hierbei helfen, ein verlässliches und konstantes Ergebnis zu erreichen.
Auf kleinem Massstab gibt es mehrere Experimente dazu, sie sind aber immer noch überschaubar. Während der Literaturrecherche für diese Blog-Serie habe ich die (nach meinem Wissen) einschlägigsten Artikel gelesen, jedoch waren das «nur» gut 20. Vergleicht man die Literatur zur Aromenbildung durch rösten, sind wir weit bei über 100, die publiziert sind.
In einem Gespräch mit Lucia Solis meinte sie, dass es viel mehr seien, als man eigentlich glaube. Sie hat in den letzten drei Jahren in elf verschiedenen Ländern auf mehr als 45 Beneficios Experimente durchgeführt.
«Nur sprechen viele nicht gerne darüber, als ob es etwas Verbotenes wäre.»
Lucia Solis, Coffee Fermentation Designer
Aber vergessen wir nicht: beim Käse, beim Wein, bei Oliven, bei Salami, beim Bier, beim Brot – Hefe wird an so vielen Orten eingesetzt.
Coffee Collaborative Source (CCS) berichtet in einem Newsletter von Carmo Coffee aus Brasilien, die auch grössere Experimente mit Hefen durchführten. Ein Experiment soll mit 93 Punkten bewertet worden sein – was in der Spezialitätenwelt der Millionenjackpot ist.
Spannend zu lesen ist dabei, dass Brasilien «weder die Energie noch das Bedürfnis hatte, Kaffee so zu fermentieren, da es Zeit- und Ressourcenintensiv» sei. «Brasiliens Kaffeeproduktion war seit jeher auf Volumen und Uniformität angelegt». Doch gerade in dieser hochentwickelten Kaffee-Industrie mit Fokus auf Effizienz und Innovation stiessen solche Experimente auf grosses Interesse.
Darüber können wir gerne in der Kommentar-Sektion diskutieren. Es ist nicht so, dass dies noch nicht gemacht wird. «Man» spricht einfach nicht so gerne darüber. Scheinbar benutzen viel mehr Kaffeeproduzenten Hefen, als dass dies bekannt ist. Wenn es mehrere Hersteller von Hefe-Kulturen gibt, dann gibt es auch mehrere Märkte.
Eine andere Frage wäre:
Und sind danach die Konsumenten soweit, dieses neue Kapitel aufzunehmen? Die Rösterei Stoll aus Zürich hat im Frühjahr 2019 einen Kaffee aus Burundi auf den Markt gebracht, der mit einer Hefe namens „Cima“ von Lalcafé behandelt wurde. Stoll beschreibt dies auch deutlich auf der Verpackung und war damit der erste Röster in der Schweiz, der das publik macht.
Eine kontrollierte Fermentation mit Hilfe von Starterkulturen kann eine standardisierte Qualität schaffen. Dies kann das Risiko beim Produzenten eindämmen. Starterkulturen können Hefen oder Bakterien sein. Beide können isoliert gekauft werden.
In verschiedenen wissenschaftlichen Experimenten, die vor allem in Brasilien durchgeführt worden sind, kamen natürlich vorkommende Hefen in isolierter Form zum Einsatz: hauptsächlich die der Stränge pichia und saccharomyces cerevisiae.
In einem anderen Experiment (Pereira et.al. 2014) wurden 144 wilde Hefearten festgestellt, die sich auf und in den Kirschen befanden. Jedoch dienen nicht alle dem Zweck, Geschmack gezielt zu beeinflussen. In der Regel werden die vielversprechendsten isoliert und vervielfältigt – «although a broad microbial diversity is generally observed, only a few numbers of species are usually selected. Thus, most of these indigenous microorganisms are probably not necessary to obtain a final product with hight quality », Pereira 2016.
Wenn die Hefe dem entpulpten Kaffee beigegeben wird, fängt der Fermentationsprozess in aller Regel schneller und intensiver an.
Temperatur, Zuckergehalt (brix) und pH-Wert sagen schon viel aus, was während der Fermentation passiert und in welche Richtung sie sich entwickeln wird.
Durch die Fermentation entstehen Geschmacksnoten, die sonst nicht im Kaffee vorkommen würden. Am besten schmeckt und versteht man das, wenn derselbe Kaffee in verschiedenen Aufbereitungsarten vor einem steht. Es ist jedoch eher selten, diese Möglichkeit des direkten Vergleichs zu haben. Has Bean aus England z.B., führt sehr enge Kontakte zu ihren Produzenten und hat so die Möglichkeit, verschiedene Aufbereitungsarten zu bekommen. Es lohnt sich, da mal verschiedene Kaffees von der gleichen Finca zu bestellen.
Mehrere Studien zeigen auf, dass der Peak der Hefeaktivitäten bei ca. 40h erreicht ist, sie also viele Bakterien metabolisiert und kurz danach fast völlig eingeht (48h). Wie schon beschrieben, hat nicht jede Hefe die gleichen Eigenschaften. Es existieren verschiedene Stränge, von den es wiederum verschiedene Arten gibt.
Wie beim Wein oder beim Bier, gibt es auch beim Kaffee verschiedene Arten von Hefen. In anderen Experimenten aus Brasilien (Ribeiro et.al. 2016) wurden verschiedene Hefen eingesetzt und über die Zeit beobachtet.
Die Studien kamen zum Schluss, dass
Besonders die Punkte 3 und 4 sind eine spannende und wichtige Botschaft.
Die Kaffees wurden im Experiment 12 Tage lang mit gleich viel Menge an Hefe fermentiert. Die Kaffees waren von den Varietäten Mundo Novo (MN) und Ouro Amarelo (OA). Die Populationen der Hefekulturen waren am Ende der Fermentation verschieden hoch: nur noch 25% «Resthefe» bei MN und noch 74% bei OA. Das heisst, dass bei MN ein intensiverer Stoffwechsel stattgefunden hat.
In der sensorischen Prüfung zeigte sich folgendes Bild:
Wilde Hefe | Zugefügte Hefe | |
Mondo Novo | 84.25 | 80.13 |
Ouro Amarelho | 81.38 | 83.25 |
Wir lernen also:
Wie weiter? Diese Frage ist eigentlich schon fast unpassend, denn: von welchem Punkt machen wir denn überhaupt jetzt weiter? Bleibt es dabei, dass wir weiterhin mit Fermentationen «spielen» oder wirklich experimentieren?
Weiter oben haben wir verschiedene Forschungsansätze genannt. Hier müssen wir unterscheiden, zwischen denen, die auf der Farm experimentieren und jenen, die das wissenschaftlich untermauern.
Die grosse Mehrheit der Forschung wurde bis heute in Brasilien durchgeführt. Die Gründe dafür sind offensichtlich: als weltgrösster Kaffeeproduzent ist das Interesse gross, durch Innovation die Position zu stärken und gute Qualität besser, und weniger gute Qualität geniessbar zu machen. Die treibenden Kräfte sind heute noch Universitäten, die in Zusammenarbeit mit Produzenten neues Wissen schaffen. Private Initiativen, zumindest bekannte, sind bisher noch in der Minderzahl.
Ausserhalb Brasiliens lesen wir vor allem von innovativen Beneficios im Privatbesitz, oder noch seltener von Exporteuren (Caravela, Project Origin) die Fermentations-Experimente durchführen. Aus den Experimenten resultieren spezielle Kaffees, die dann als «Carbonic Maceration», «Black Diamond», «Méthode Beaujolais», «Lactic-Acetic» oder XY-Fermentation vermarktet werden können.
Wir sehen also zwei Herangehensweisen:
Die Pioniere unter den Experimentalen schaffen einen Markt, der seit einigen Jahren gewaltig wächst. Die Erkenntnisse bleiben exklusiv, da man sich mit diesen einen Wettbewerbsvorteil in der sich immer mehr differenzierenden Rohkaffee-Welt schaffen kann.
Selten lassen sich Boutique-Produzenten in die Karten schauen, was während der Verarbeitung des Kaffees genau gemacht wurde. Damit Fermentationen reproduzierbar sind, geht eine Menge Investition in diesen Prozess. Daher verwundert es nicht, wenn eine spezielle Methode als geistiges Eigentum verstanden wird.
Gleichzeitig zeigt sich dadurch aber so viel Potenzial, wo eine grosse Masse von Produzenten hingelangen könnte, wenn denn Standards durch die Wissenschaft formuliert werden können. Eine erste Literatursicht auf den momentanen Forschungsstand zeigte, dass die heutigen Ergebnisse sehr stark lokal geprägt sind. Gefragt wären generellere, universeller anwendbare Rezepte für die Produzenten.
Damit die grosse Mehrheit der Kaffeeproduzenten an dieses Wissen gelangt, braucht es aber noch mehr Forschung und noch mehr Kommunikation darüber. Wir haben beschrieben, wie stark die Kaffee-Varietät, eine stark lokale Eigenschaft, einen Einfluss auf den Geschmack hat. Der Lokal-Kolorit wird also weiter bestehen und es dürfte schwierig sein, ein Geschmacksprofil per copy-paste der Methoden zu imitieren.
Wenn wir sagen, dass es mehr Forschung und Kommunikation benötigt, dann wollen wir mit unserer Finca Santa Rita ein Beispiel sein. Wir wollen den Austausch fördern. Es ist der Kern unserer Vision, dass wir einen intensiveren Austausch über die ganze Warenkette schaffen wollen. Wir wollen eine Farm betreiben, die auch für Produzenten in der Region zum Ort des Austauschs werden kann. Ein Ort, wo etwas gelernt werden kann – zum Beispiel über Fermentation.
Der erste konkrete Schritt in Richtung „Wissen schaffen“ haben wir im 2018 gestartet, als klar wurde, dass uns ein Forschungsbeitrag der InnoSuisse für eine Vorstudie zusammen mit der ZHaW gestattet wurde. Vielen Dank hierbei an die Vernetzung durch Peter Braun vom Swiss Food Research.
Zusammen mit dem Team von Susanne Miescher-Schwenniger von der ZHaW Lebensmittelbiotechnologie, Susette Freimüller Leischtfeld und Barbara Beck, sowie dem Team von Chahan Yeretzian vom Coffee Excellence Center und Sebastian Opitz, konnten wir im Juni 2019 die ersten Ergebnisse präsentieren.
Barbara Beck als Biotechnologin präsentierte ihre Ergebnisse, die sie auf der Basis ihrer Feldforschungen im Januar 2019 auf der Finca Santa Rita erzielen konnte. Sie fokussierte sich auf die Entwicklung der Hefepopulationen und ihr Verhalten in unseren zwei Standard-Prozessen, die wir auf Santa Rita anwenden – die Methoden tradicional und reposo.
Sebastian Opitz als analytischer Chemiker untersuchte den Einfluss der Fermentationsmethoden auf den Geschmack. Die behandelten Rohkaffeebohnen sowie Kaffeekirschen von Santa Rita, dienten ihm als Grundlage für seine Erkenntnisse.
Mehr Experimente mit mehr Methodik, so dass wir irgendwann selbstbewusst sagen können: was wir machen, ist mehr von Wissen und Erfahrung als von Zufall dominiert. Den Weg dahin, pflastern wir jetzt.
Mit unserer Farm sind wir aber nur ein Mosaik-Steinchen in einem Diskurs, der immer mehr ins Rollen kommt.
Der Diskurs über geschmacksbildende Fermentation wird aufzeigen, wie nah oder wie weit entfernt sich der Ursprung und der Konsumentenmarkt wirklich sind.
Denn so nah verknüpft waren sich die beiden Felder noch nie. Bis jetzt sind es vor allem Geschichten, die den Kitt zwischen den Polen bilden, die unseren Konsumenten zeigen sollen, was denn eigentlich da passiert, wo der Kaffee herkommt. Wir dürften wohl noch viel mehr Kaffees in Zukunft erwarten, die alleine über ihren Geschmack so charakteristisch werden, dass sie für sich selbst sprechen werden. Die grosse Frage dabei bleibt aber, wie weit dieses moderne Instrument bis zum gros der Produzenten durchsickern kann.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
5 Kommentare
Bin schon gespannt auf weitere Kooperationen und Experimente!
Folgender Absatz würde ich ggf. weglassen weil direkt darauf im neuen Abschnitt "3." fast der gleiche Text steht:
Take-Home-Message:
Nur 5% der mucilage sind während der Fermentation direkt an der Bildung von sog. Aroma-Precursors (Aroma Vorstufen) im Rohkaffee verantwortlich. Doch diese 5% haben es in sich: bei unsachgemässer Fermentation können sich Defekte wie z.B. Stinker-Bohnen bilden. Bei kontrollierter Fermentation jedoch können gezielt Geschmacksnoten betont oder sogar neu gebildet werden.
Hatte beim lesen diesen Déjà-vu Effekt :-D
Gruß
Dennis
Folgender Absatz ist doppelt:
Was aber nun wirklich fermentiert, ist nicht die ganze Mucilage, nicht das Pektin, sondern nur Glukose und Fruktose, die Einfachzucker.
Gruß
Dennis
Ich erlaube mir noch ein paar Anmerkungen von meinen Erfahrungen als Produktionsleiter der Burka Estate in Arusha, Tanzania zu machen.
Die Wahl der Anzahl Bäume pro Hektar sind natürlich auch abhängig, wie man eine Farm bewirtschaftet. Wird Unkraut und Pflanzenschutz Massnahmen mit Traktoren bewältigt, machen dichte Pflanzungen keinen Sinn. Wir haben deshalb ein Spacing von 2mx3m gewählt und so 1660 Bäume/ha gehabt. Wichtig für mich war, dass der Raum in der Reihe gut mit tragenden Aesten genutzt wurde. Das Pruning ist eine wichtige Arbeit, den Kaffeebaum richtig zu formen, damit er möglichst viele tragende Aeste produziert. `Hemilea oder Kaffeerost ist auch in Afrika ein Problem. Auch deshalb ist eine allzu dichte Pflanzung nicht vorteilhaft.
Im Weiteren habe ich mit einem 7 Jahres Prunigsystem gearbeitet. Das heisst, ich habe jedes Jahr ein siebtel der Farm total zurück geschnitten. So habe ich immer junge, frisch wachsende Pflanzen, die mir eine gute Ernte garantieren, Die neu aufkommenden Kaffeebäume wurden als Doppelstamm hochgezogen. . Also zwei Stämme pro Kaffeebaum, was den Raum in der Reihe mit einem 2m spacing auch besser füllt.
Ich wünsche Euch allen eine gute und interessante Reise nach Nicaragua.. Würde am liebsten auch mitkommen.
Freue mich auf weitere Berichte von Euch zum Thema Fermentation . Ein wichtiges Thema, das mich auch bei meinen Beratungen der Farmen in Nepal und Ecuador stets beschäftigt hat.
Viele Grüsse
Markus Weber
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