Der Kaffeemarkt befindet sich inmitten einer Preisrally, die in den letzten Wochen und Tagen praktisch nur eine Richtung gekannt hat: den steilen Weg nach oben. Extreme Wetterverhältnisse in Brasilien und Vietnam, die aus den Fugen geratene Weltwirtschaftslage, das Europäische Entwaldungsgesetz, die gestiegene Kaffee-Trinklust in asiatischen Ländern, die Kriege, Trump, Spekulanten, Krankheiten, Pilze, zu langsamer Fortschritt in der Pflanzen-Forschung und Logistikengpässe trugen und tragen jeweils das ihrige dazu bei. Was bedeutet dies für die entsprechenden Player entlang der Wertschöpfungskette? Wer profitiert und wer verliert? Und wie steht es um unsere Tasse Kaffee am Morgen? Wir ordnen ein.
Am 27. November 2024 lag der Kaffeepreis bei $3.26/lb. Aufs Kilo Rohkaffee sind das 7.17 USD/kg. Das sind 70% mehr als noch vor 11 Monaten. 47 Jahre ist es her, seit es ein letztes Mal ein Rekordhoch von $3.11 pro pound oder $6.84 pro kg Rohkaffee an der Kaffee-Börse, dem ICE Arabica Futures oder auch “C price” genannt, gab. Händler, Röstereien und Endkonsumenten konnten fortan fast ein halbes Jahrhundert von teils verheerend tiefen Preisen profitieren.
Die Produzentinnen und Produzenten waren und sind die Pricetaker. Sie mussten die Preise akzeptieren, welche an der Rohstoffbörse in New York bestimmt wurden.
Aus dieser prekären und misslichen Situation wurde der Gerechtigkeitssinn Vieler geweckt, die nebst dem Fokus auf Qualität auch viel Wert auf den sozialen Aspekt legten. Verschiedene Zertifizierungen wie beispielsweise Fair Trade, Max Havelaar oder Bird Friendly wurden ins Leben gerufen, um für gerechte Löhne einzustehen oder ein nachhaltiges Ökosystem zu fördern. Immer mehr wurde der Blick auf Partnerschaften mit Kooperativen oder gar Bäuerinnen und Bauern gelegt. “Beziehungskaffee” wurde zum Leitslogan ambitionierter und moralischer Händler und Röstereien der letzten Jahre.
Nur selten und punktuell war Kaffee in den letzten fünf Dekaden ein gewinnbringendes Geschäft für die Bauern, Produzentinnen und Kooperativen. Oder anders gesagt: es war ein körperlich anstrengendes, teils missliches Geschäft.
Diese fatalen Bedingungen in der Kaffeeproduktion sind schon lange bekannt.
Die Hauptantwort wurde lange in der Produktionssteigerung gesehen. Ganze Programme von Händlern und Röstereien wurden hochgefahren, um diese technische Weiterentwicklung zu begleiten. Doch die Kaffeeproduktion ist nicht auf Ertrag pro Hektar zu reduzieren - sonst hätte die Produktionssteigerung pro Hektar Wunder wirken müssen. Systemische Armut im Kaffeebereich ist noch immer Realität und kann auch durch gut klingende Projekte nicht wegdiskutiert werden.
Selbstständige Kaffeefarmer wie beispielsweise Doña Maria können vielleicht von den hohen Preisen profitieren. Für einmal können Produzierende beruhigt in die nahe Zukunft schauen und können teils gar auswählen, wem sie Kaffee verkaufen möchten. Ein langfristig hoher Börsenpreis könnte dazu führen, dass weniger Menschen aus den Anbauländern emigrieren und Kaffeefarmen verlassen würden und mit der Arbeit auf einer Kaffeefarm sogar genug verdient werden könnte. Dabei reden wir nicht vom grossen Geld, sondern von Einnahmen, die die Kosten decken und den Lebensunterhalt finanzieren.
Für Kooperativen wie beispielsweise Apas ist die aktuelle Situation mit dem hohen Börsenpreis eine enorme Herausforderung. Sie müssen die Balance zwischen den Interessen der Mitglieder und den Verpflichtungen zu Partnern finden. Wenn die Farmer sich nicht als loyal erweisen und ihre Kirschen anderen Kooperativen oder Zwischenhändlern, sogenannten Coyotes, verkaufen, stehen sie ohne Kaffee da und können vielleicht Verträge nicht erfüllen.
Im Kaffeehandel wird gerne zwischen den grossen, etablierten Kaffeehandelshäusern und modernen Händlern unterschieden, welche oft mit dem noch zu entmystifizierenden Begriff Direct Trade, also direktem Handel, assoziiert werden. Beide befinden sich in schwierigen Situationen.
Etablierte Händler haben häufig festgefahrene Strukturen, wodurch sie wenig flexibel auf aussergewöhnliche Situationen reagieren können. Da sie vor allem an der Börse einkaufen, hat der Preis direkten Einfluss auf die Gewinnmarge. Ist der Börsenpreis niedrig, so ist ihre Gewinnmarge höher. Ist der Börsenpreis hoch, so ist ihre Marge dementsprechend kleiner. Hatten sie früher im Allgemeinen noch markant mehr Marge auf dem Produkt, so ist diese seit Jahren in tieferen Gefilden und Gewinn nur durch viel Volumen möglich. Durch die hohen Börsenpreise könnte diese kleine Restmarge ganz aufgefressen werden. Es ist mit Konkurs und Übernahmen zu rechnen.
Aus dem Bedürfnis, Menschen fair und gerecht zu behandeln und die Umwelt nachhaltig mitzugestalten, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten viele soziale Zwischenhändler geformt. Sie sehen sich als Vermittler zwischen Partnerschaften und legen so die Basis für den Konsum mit gutem Gewissen. Oft zahlen die modernen Händler den Produzierenden einen fixierten Aufpreis zum Börsenpreis, welcher die anfallenden Kosten auf einer Farm besser decken soll. Auch bieten viele die Möglichkeit, bei der Berechnung verschiedener Kostenstrukturen zu unterstützen und die anfallenden Ausgaben auf einer Farm zusammen mit den Farmern zu berechnen. Wie die Kooperativen sind in der aktuellen Situation auch die modernen Händler in einer zwiespältigen Situation. Denn zum einen ist der genannte und festgemachte Aufpreis zur Börse kaum bezahlbar. Auf der anderen Seite steht der Partner, vielleicht eine Kooperative, die aber den hohen Preis bezahlen muss. Die verschiedenen Beziehungen werden aktuell arg strapaziert und auf die Probe gestellt.
Mittlere und kleine Röstereien haben seit dem Aufkommen von Spezialitätenkaffee vor 20 Jahren viel Aufwind bekommen und wurden von der “Third Wave” Welle mitgetragen. Soziales Kaffeetrinken in einer hippen Kaffeebar wurde für Viele zum neuen Normal. Eines der Versprechen von Spezialitätenröstereien war, dass durch den Genuss von sorgfältig ausgewählten Bohnen die Nachhaltigkeit gefördert und Produzenten fair entlohnt würden – das hat den Nerv der Zeit getroffen.
Beziehungen zu sozial und nachhaltig engagierten Händlern oder direkt zu Produzenten wurden aufgebaut. Besuche von Kaffeefarmen standen auf der jährlichen Agenda, um direkt vor Ort Einfluss nehmen zu können und Projekte zu unterstützen. Viele haben Partnerschaften auch mit einem fixierten Preisaufschlag zum Börsenpreis besiegelt - wie die vorher genannten modernen Händler.
Wie geht es nun weiter? Was, wenn der Börsenpreis deutlich über dem liegt, was Spezialitätenröstereien noch vor einem Jahr bezahlt haben? Was, wenn es also keine monetären Anreize mehr gibt für Produzenten, hohe Qualität oder Bio zu machen, weil der Börsenpreis so hoch ist?
Die aktuelle Situation fordert uns alle. Als Rösterei führen wir aktuell intensive Gespräche mit unseren Partnern. Wir versuchen, unsere Kosten so gut wie möglich zu reduzieren und unsere Effizienz zu steigern, so dass wir einfacher auf die neuen Kaffeepreise reagieren können.
Die erhöhten Preise werden über kurz oder lang auch Auswirkungen auf die Tasse Kaffee am Morgen und den Röstkaffee im Allgemeinen haben. Kaffee wird teurer werden. Mit vorsichtiger Auswahl und bewusstem Konsum kann auch als Geniesserin oder Geniesser geholfen werden, guten Kaffee zu unterstützen. Gut ist dabei nicht auf die Sensorik reduziert, sondern ebenso fest auf gerecht, fair, moralisch, umweltbewusst bezogen. Kaufen wir also Kaffee bei Röstereien ein, die viel Wert auf ihr Tun legen. Denn Kaffee ohne Werte ist wertlos.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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