Wein und Kaffee zu vergleichen, ist sehr allgemein. Fokussieren wir uns aber aber auf spezifische Themen, kommen wir weiter. In diesem Blog diskutieren wird zwei Produkte, die immer wieder für Diskussionsstoff sorgen: Naturwein und Spezialitätenkaffee. Können die beiden Felder voneinander lernen?
Kaffee und Wein sind Kulturgetränke, die erklärt und kontextualisiert werden müssen. Spezielle Ausprägungen beider Getränkekategorien erfordern noch etwas mehr Aufwand, damit man sie vollkommen versteht, wie etwa Spezialitätenkaffees und Naturweine.
In der September-Ausgabe des Genussmagazins Falstaff steht auf der Titelseite (s. Foto oben): «Natural Wine – Qualität oder Qual?» Gleich daneben die andere Schlagzeile: «Kaffee. Die neuesten Trends» Kaffee und Wein zusammen auf der Titelseite eines Hochglanzmagazins. Entweder ist der Kaffee da angekommen, wo er hingehört, oder Naturwein hat es geschafft, salonfähig zu werden. Oder beides.
Nach der offiziellen Definition der SCA sind dies Kaffees, die frei von primären Defekten sind und in der Verkostung mindestens 80 Punkte erzielen. Diese Punkte kommen zustande, in dem der Kaffee auf die sensorischen Attribute evaluiert und quantifiziert wird. Wir haben diese Definition noch weiter ausgeführt.
Eine Antwort, die mir gut gefällt, kommt von Martin Helfer in einem Interview mit vi-tis:
«Ich benutze Naturwein nicht so gerne. Wein ist ein von Menschenhand kultiviertes Produkt. Trauben gären nicht von alleine und werden zu Wein.»
Martin Helfer in vi-tis, November 2018
Helfer bevorzugt die Bezeichnung «naturbelassene Weine, die mit möglichst wenig Intervention entstanden sind, d.h., im Rebberg wird biodynamisch gearbeitet, im Keller wird der Wein nur begleitet. (…) Keine «unnötigen» Eingriffe während der Gärung, kein Entsäuren, keine Filterungen oder Schönungen. Auch kein Schwefel.»
Es wird deutlich: Natur(-belassene) Weine leben von der Reduktion aufs Wesentliche. Sie definieren sich durch Ausschlusskriterien, die bei «konventionellen Weinen» Standard sind.
Beim Spezialitätenkaffee geht es weniger um Ausschluss, sondern viel mehr um eine geschmackliche Definition. Die Machart der Kaffees hat keinen Einfluss darauf, ob ein Kaffee als Spezialitätenkaffee durchgeht oder nicht. Einerseits ist der Begriff nicht geschützt, andererseits gibt es keine agronomischen Richtlinien, die eine gewisse Praxis als Spezialität legitimieren würden.
Spezialitätenkaffee = es geht um GeschmackSpezialitätenkaffee ist die Nische und muss es auch bleiben, sonst wäre er nicht mehr speziell. Jedoch kann eine Nische wachsen. Die farbigen, trendigen und streitbaren Beiträge und Konzepte kommen dieser Tage aus der Spezialitätenkaffee-Welt, die grössere Kaffee-Welt schaut ab und kopiert das, was für sie Sinn macht. Dieses Avant-Garde vs. Massenmarktverhältnis ist ein normaler Lauf der Dinge.
Dennoch haben es Vertreter der Spezialitätenkaffee-Welt geschafft, das Produkt salonfähig zu gestalten und mit ihm reifer zu werden. Kaum jemand, der noch nie vom «Trend Filterkaffee» gehört, oder «Single Farm Lots» verkostet hat.
Etwas pathetisch formuliert: Spezialitätenkaffee ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – nur mag ihn nicht jeder, und das ist OK.
Naturwein hingegen trägt diese absurde Konstellation in und mit sich, dass die Machart sehr alt, der Markt jedoch noch sehr jung ist. Meine Grosseltern machten Wein noch vor einer Zeit, als man Hefe zum Start der Gärung beigab. Eigentlich haben sie so was wie Naturweine gemacht – nur haben sie das halt nicht so genannt.
Helfer wird gefragt, ob der Konsument denn wisse, was Naturwein sei? – «Immer mehr.» Jedoch bestehe für Wein keine Deklarationspflicht, der Konsument weiss nicht, was ein konventioneller Wein enthalten darf und wieviel Schwefel, es steht ja nur Sulfit.» Helfer fährt fort und erklärtt:
«Kaum ein Winzer sagt, dass er Naturwein produziert. Er produziert einfach Wein nach seiner Philosophie, immer mit höchstmöglicher Qualität und dessen, was die Natur ihm, je nach Jahr, bietet.» Er meint weiter, dass er zur Zeit ein «Hype» sei, aber einer, der anhalten wird.
Martin Helfer, vi-tis, November 2018
Wir sehen Naturweine bisher nur vereinzelt in der Gastronomie – da, wo man ein eigenes Konzept fährt, oder da, wo man etwas mutiger ist. Bis jetzt habe ich Naturweine nicht in der x-beliebigen Beiz gesehen. Für die ist er immer noch zu speziell. Vielleicht muss er das ja auch nicht und es geht ihm gleich wie dem Spezialitätenkaffee. Etwas Nische hilft manchmal, um attraktiv zu bleiben.
Wenn wir das Durchschnittsalter unserer Teilnehmer in den Kaffeemacher-Kursen ausrechnen würden, dann würden wir klar bei einer Zahl U-50 landen. Dafür mag es etliche Gründe geben, bleiben wir aber mal bei der Offenheit für neue Geschmäcker.
Kaffee neu zu denken, sich für neue Geschmäcker zu öffnen, braucht etwas Mut. Ebenfalls muss man es zulassen, da Kaffee ein emotionales Produkt ist. Für viele ist Kaffee die 5min-Meditation, der Moment, der einem selbst gehört. Da möchte man vielleicht nicht, dass jemand einem sagt, wie Kaffee schmecken soll oder könnte.
Beim Wein ist das oft nicht anders – «ich mag keine Franzosen» habe ich kürzlich bei einem Lauschangriff in einem Restaurant gehört. Starre Vorstellungen helfen natürlich nicht, Wein neu kennen zu lernen. Das Publikum von Naturwein dürfte ebenfalls in der U-50 Kategorie anzusiedeln sein.
Martin Helfer meint dazu: «Wenn du seit 30 Jahren deinen Bordeaux trinkst, ist dein Gaumen auf genau diesen Geschmack konditioniert.» Oder, wie es ein Freund von mir formuliert: einem alten Affen musst du nicht lehren, eine Banane zu schälen.
Spezialitätenkaffee ist nicht mehr das jüngste, aber ein eher junges Phänomen das sich rasant entwickelt. Die Sturm & Drang Phase ist vorbei, man ist daran, mehrheitstauglicher zu werden. Manchmal denke ich, dass Naturweine an einem ähnlichen Punkt sind. Sie müssen sich erst noch beweisen, man muss erklären und vergleichen.
Jedoch hat Naturwein einen entscheidenden Vorteil, den wir Kaffeemenschen uns auch bald erhoffen; den Zugang zur Spitzengastronomie. Köche und Sommeliers als Advokaten helfen Naturwein zu etablieren. In der Verbindung mit Essen wirken Weine – und das Essen – bisweilen ganz neu. Beim Espresso nach dem Essen aber wird oft weniger Risiko eingegangen. Man bekommt in aller Regel das, was man erwartet, und das ist eigentlich wirklich schade. Mehr dazu in einem nächsten Beitrag.
Ein tolles Konzept, das Naturweine und Spezialitätenkaffee vereint, ist z.B. das 169 West in Zürich: https://www.gaultmillau.ch/zuri-isst/169-west-pure-trinkfreude
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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