Von sinnvollen und sinnlosen Kaffeereisen – eine Checkliste

Von sinnvollen und sinnlosen Kaffeereisen – eine Checkliste

Kaffeereisen in exotische Gegenden, dahin, wo der Kaffee wächst, sind ein Traum von vielen Kaffeemenschen. Doch was bringen diese Reisen? Wer hat wirklich was davon, wenn Fotos mit Produzenten und rote Kaffeekirschen das Instagram-Profil zieren?

Vorneweg: wir haben das Privileg, regelmässig seit mehreren Jahren in Kaffeeländern unterwegs sein zu können. Ohne diese Reisen hätten wir unser Verständnis für Kaffee nicht schärfen können, wir würden über viele Themen anders denken und vor allem wären wir um einige schöne und wichtige Bekanntschaften ärmer.

Mein persönlicher Kaffee-Fokus in den letzten Jahren lag klar auf Zentralamerika: Honduras, Costa Rica, Nicaragua und Mexiko. Die Herausforderungen der Produzenten, Kooperativen und Exporteure drehen sich  mehrheitlich um die gleichen Themen, nicht nur da, sondern global. Jedoch werden sie durch spezifische lokale Ausprägungen mitbestimmt.

Ich würde hier selbstbewusst sagen, dass die grosse Mehrheit meiner Kaffeereisen einen «Sinn» hatte. Sie waren sinnvoll. Es gab für mich aber auch zwei Reisen, die für mich im Nachhinein fragwürdig erschienen – waren sie also sinn-los? Wem habe ich mit meiner Anwesenheit eigentlich geholfen? Oder habe ich damit jemandem geschadet?

Wem bringen Kaffeereisen etwas?

Dann spreche ich mit Anderen über ihre Erfahrungen «im Ursprung», wie es so sehnsüchtig bei Kaffeemenschen heisst. Man tauscht sich aus, man lernt voneinander und versteht sich vielleicht selbst dadurch noch etwas besser.

So sehe ich aber auch immer mehr, dass mir gewisse Reisen durchaus als weniger sinnvoll erscheinen. Ja, bei manchen Reisen von Branchenkollegen frage ich mich dann: wem hat das eigentlich genützt? Dir, Euch, oder wirklich dem Produzenten – das ist ja das, was Ihr vorgebt?

Wir haben einen kleinen Fragekatalog zusammengestellt, den wir vor einer Reise mit kritischen Gegenübern diskutieren. Er hilft uns, der Sache sicher zu sein. Gerne teilen wir euch diesen mit euch - es ist vielleicht einfach etwas brutal. Brutal ehrlich.

Kaffeereise-Checkliste – GO/NOGO

  • Was ist das Ziel der Reise?
    • Für uns
      • Haben wir ganz konkrete Ziele, was wir mit dieser Reise erreichen wollen?
    • Bilder?
      • Kann ich überhaupt gut Fotos schiessen?
      • Könnte ich diese auch kaufen?
      • Kenne ich einen Fotografen vor Ort?
      • Ein paar schöne Bilder für Instagram und Facebook – ist es das wert?
      • Bilder von Produzenten und mir
        • Ist das fair?
        • Behandle ich den Produzenten wie ein Museum?
        • Ist der Produzent einverstanden?
        • Hat er auch was davon?
        • Übernehme ich damit Verantwortung?
    •  Kaffeekauf?
      • Kann ich nicht einfach Samples von da bestellen und dann über einen Lieferanten einkaufen?
      • Wie viel Kaffee kaufe ich da eigentlich ein? Zwei, drei Sack? Macht das Sinn?
    •  Vermarktung?
      • Und das vermarkte ich dann als Direct Trade – macht das Sinn?
      • Ich war vor Ort und würde nun sagen, dass das bessere Geschäfts-Praxis ist?
      • Besuche ich wirklich „den Produzenten“?
        • Den Pflücker?
        • Die Kooperative?
        • Den Exporteur?
        • Den Zwischenhändler?
      • Wen porträtiere ich als «Produzenten»?
    • Ein gemeinsames Projekt mit Produzenten? (Z.Bsp. Infrastruktur)
      • Gibt es jemanden, der das besser kann?
      • Ist unsere Vision glasklar und verständlich, dass alle an Board sind?
      • Wäre das Projekt zeitbasiert, oder würden wir wirklich eine langfristige Veränderung schaffen?
      • Würde das Projekt auch ohne uns weiterleben?
      • Warum würden wir das tun, ausser Werbung?
    • Können wir uns das leisten?
      • Finanzielle Kosten
        • der Reise selbst
        • der Arbeiten, die nicht erledigt werden können, wenn jemand im Betrieb fehlt
    •  Zeit?
      • Kann jemand für min. 1 Woche im Betrieb fehlen?
      • Wäre es besser, zu Hause bei der Familie zu bleiben?
      • 1 Woche im Kaffeeland – sind das Ferien oder ist das Arbeit?
      • Wer leidet, wenn ich nicht hier bin?
      • Was leidet, wenn ich nicht hier bin?
      • Wer profitiert, wenn ich nicht hier bin?
    • Wer ist das Ziel der Reise?
      • Neuer Kontakt
        • Sind wir sicher, dass wir willkommen sind?
        • Ist es ein Aufwand für den Gastgeber?
        • Haben Sie versteckte Kosten?
        • Hatten wir schon viel Austausch?
      • Bestehender Kontakt
        • Könnten wir nicht einfach telefonieren, zoomen, whastappen?
    • Erwartungen
      • Hat das Gegenüber auch Zeit für mich?
        • Was sind die glasklaren Erwartungen auf beiden Seiten?
        • Schaffen wir es, mit dem Besuch nichts zu versprechen?
    • Was bewirkt mein Besuch?
      • Wer ist alles da?
      • Bin ich über das Programm im Klaren?
      • Wer macht das Programm – der Gastgeber, ich, wir zusammen?
      • Gibt es vielleicht eine hidden agenda vom Gastgeber?
      • Habe ich eine hidden agenda?
    • Kann der Gastgeber das bieten, was ich suche?
    • Kann ich dem Gastgeber das bieten, was er sucht?
    • Macht der Gastgeber eine Show?
    • Schaffen es beide Seiten, auch bei einer negativen Begegnung, nicht voneinander abhängig zu sein?
      • Wie könnte der Gastgeber meine Reise interpretieren?
    • Haben wir klar miteinander kommuniziert?
    • Welches Bild des Kaffeerösters/Einkäufers/Barista/… vermittle ich mit meinem Besuch?
Philipp Schallberger
Philipp Schallberger
Philipp Schallberger ist Co-Geschäftsführer der Kaffeemacher. Er leitet die Rösterei und ist verantwortlich für den Rohkaffee-Einkauf und die Projekte im Kaffee-Ursprung. Er ist Q-Arabica Grader und jurierte während mehrere Jahren Barista-Weltmeisterschaften. Die Erfahrung aus Stiftungsarbeit für Kleinproduzenten und in der Forschung und Entwicklung einer grossen Rösterei gibt Philipp auch als Berater weiter. Er führt den Kaffeemacher Podcast Coffea, gründete den ersten Schweizer Bio-Haferdrink "Gutsch" mit und wenn er keinen Kaffee machen würde, dann wäre es wohl Wein.

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