Unser Toca-Kaffee ist der erste Kaffee aus unserem Projekt zur Förderung der regenerativen Kaffeeproduktion in Veracruz, Mexiko, das wir zusammen mit Ensambles als Implementationspartner führen. In den letzten Monaten hat sich Vieles vor Ort verändert: Produzenten haben die neu gegründete Kooperative verlassen, es kam zu einem Neustart, neue Käufer traten auf und wir fragen uns: sind Röstereien eigentlich aktiv in der Entwicklungszusammenarbeit?
Am Schluss des letzten Online-Updates mit der Projektgruppe von Ensambles in Mexiko sagte Miguel, der das Toca-Projekt als Koordinator begleitet:
Caminante, no hay camino, se hace camino al andar. Sinngemäss nach dem Original, das Franz Kafka zugeordnet wird: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
Es waren die Schlussworte, die mir noch lange nachhallen sollten. Sie fassten die letzten Monate zusammen, in denen das lokale Projektteam um Lorena, Miguel und Gibran immer wieder neue Wege, Lösungen und neue Produzierende finden musste. Die 2022 gegründete Kooperative hat sich teilweise aufgelöst, neue Produzierende sind dazu gestossen und alte Wunden wurden aufgerissen.
Im Sommer 2019 hatten wir den ersten Workshop mit Ensambles und diskutierten über das gemeinsame Ziel, einen Modellansatz zu entwickeln, um Kaffeeproduzenten auf ihrer Transition von konventionellen Methoden zu regenerativen Praktiken zu begleiten.
Im Herbst 2021 fiel der Startschuss in Ixpaluca, einer kleinen Community südlich von Córdoba, Veracruz. Lorena, die für Ensambles und das Projekt jeden Tag im Feld vor Ort ist, begann die Produzenten zu besuchen, zu beraten und bei Bedarf zu schulen. Sie erklärte das Projekt und gewann schnell an Vertrauen.
Das Tal um Ixpaluca ist fruchtbar und ist von der Kaffee- und Maisproduktion geprägt.
20 Produzierende hatten Interesse, an diesem neuen Ansatz dabei zu sein. Sie brachten ihre Samples, Lorena und das Team vor Ort gaben Rückmeldungen und Empfehlungen, die Erwartungen waren auf beiden Seiten gross.
Ensambles half mit, dass die interessierten Produzenten eine Kooperative gründen konnten. Nach ein paar Startschwierigkeiten und der Abstimmung, wer die Kooperative führen soll, wurde die neu geschaffene Kooperative Citlal Cafen gegründet und trat nun als Verkäuferin des Kaffees auf.
Im Sommer 2022 kamen die ersten 40 Sack Rohkaffee in Europa an. Ensambles hat den Kaffee zu uns geschickt und wir machten die ersten Tests. Seit letztem Spätsommer ist der Toca bei uns erhältlich und in unserem Café Frühling der Standardespresso.
Im Oktober dann waren wir zu Besuch in Ixpaluca. Die Nervosität war gross im Dorf, denn unser Besuch wurde lange angekündigt und es dabei weit mehr als um ein Kennenlernen. Wir haben uns als Kaffeerösterei verpflichtet, eine neu geschaffene Kooperative auf ihrem Weg zur regenerativen Landwirtschaft und zur Zertifizierung des Bio-Labels zu unterstützen und begleiten. Ensambles ist dabei unsere Implementations-Partnerin vor Ort und exportiert den Kaffee.
v.l.n.r.: Philipp, Patrizio (Balloon Coffee Roasters), Lorena, Gibran, Michel
Ich wurde während der Zeremonie gebeten, das Projekt nochmals vorzustellen und vor der Dorfgemeinschaft über unsere Arbeit zu reden. Ich bin mir solche Situationen gewohnt, und trotzdem spürte ich da mehr Anspannung in der Luft als sonst.
Die Erwartungen waren hoch, weil in der Gegend um Ixpaluca immer wieder neue Käufer auftraten, die grosse Versprechungen machten und Hoffnung auf einen direkten Marktzugang und besseren Preisen für den verkauften Kaffee machten. Die Meisten liessen den Worten keine Taten folgen oder waren nach einem Jahr wieder weg. Unter diesen Vorbedingungen war unser Besuch eben mehr als ein Kennenlernen, sondern auch das Abtasten, ob wir es ernst meinten.
Am Treffen selbst fragten mich einige Produzenten, wie viel wir für den Kaffee zahlen würden. Preise sind ein sensibles Thema und es wäre für alle Beteiligten unangenehm, in so einer Situation den Preis zu definieren. Zudem kauft Ensambles als unsere Partnerin vor Ort den Kaffee ein, schlägt die Projektkosten drauf und verkauft uns den Kaffee. Also laufen die Preisverhandlungen zwischen Ensambles und der Kooperative.
Der von Ensambles bezahlte Preis war im ersten Jahr 20% über dem lokalen Markt. Im zweiten Jahr bot Ensambles sogar 36% mehr als der lokale Markt, was den gleichen Kilogrammpreis wie das Jahr zuvor ergab: 5,72 USD/kg Rohkaffee direkt an die Produzenten.
Die Kooperative selbst stellte in der Zeit eine eigene Rechnung an. Einige Exponenten empfanden den Preis von Ensambles zu gering und suchten nach alternativen Käufern. Just trat ein neuer Käufer in der Region auf, der einen deutlich höheren Preis anbot. Knapp zehn der zwanzig Produzenten verliessen die neu gegründete Kooperative und wollten mit dem neuen Käufer zusammenarbeiten - was sich als Fehlentscheidung herausstellen sollte.
Auf der Finca von Don Adrian, der seit jeher auf eine hohe Bodenqualität setzt.
Als die Saison dann begann, waren noch sieben von ursprünglich 20 Produzierenden beim Toca-Projekt dabei. Lorena war wie bisher jeden Tag bei den Produzenten, hielt Workshops ab und war und ist unser Bindeglied in die Community.
Lorena und Miguel besuchten mit Don Roque und Yazmani, zwei eingefleischte Produzenten des Toca-Projekts, weitere Communities um Ixpaluca herum. Sie schafften es, in neun weiteren Communities und Weilern Produzenten zu finden, die sich einerseits mit dem Projekt identifizieren können und andererseits bereit sind, ihre Produktionsmethoden anzupassen.
Insgesamt kamen so nun 100 Sack zu je 69kg des Toca-Kaffees zusammen. Die Produzierenden wurden vom Team vor Ort geschult, wie sie den Kaffee auf der eigenen Farm in kleinen Chargen waschen, entpulpen und fermentieren sollten, um die gewünschte Qualität zu erreichen.
Als feierlichen Moment bezeichnet Lorena den Tag, als alle alten und neuen Produzierenden des Toca-Projekts zusammen ihren Kaffee in die Dry Mill nach Zongolica brachten, dem kleinen Städtchen, wo sich das Labor befindet.
Lorena bei einem ihrer Workshops mit den Produzenten in der Region um Ixpaluca.
Bei unserem Besuch im Oktober wurde uns geschildert, wie oft die Produzenten in dieser Region übers Ohr gehauen wurden.
Misstrauen wurde zum Selbstschutz und hohe Forderungen zur Verhandlungsbasis.
Nach dem offiziellen Treffen wurden wir in die Turnhalle des Dorfes geführt, um da nochmals über einen Preis zu sprechen. Wir sassen auf dem heissen Stuhl, flankiert von Miguel, der die Moderation souverän führte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, Preise fest zu legen. Jeder Preis war der falsche Preis zu dem Zeitpunkt.
Einige Produzenten verabschiedeten sich von dem Treffen und merkten an, dass es sich doch lohnen würde, zu warten und den neuen Käufern etwas Vertrauen zu schenken. Andere waren hin und hergerissen, da wiederum weitere Vertreter der Kooperative zu einem Abschluss kommen wollten.
Das Treffen endete mit der Absichtserklärung, dass wir uns als Käuferschaft, Ensambles als Beraterin vor Ort und die Kooperative selbst, mit einem Preis klarkommen müssen, der allen etwas weh tut, aber eigentlich gut ist.
Miguel, der die Projekte von Ensambles in ganz Mexiko leitet.
Anfang 2023 erreichte dann Lorena die Botschaft, dass mehr als die Hälfte der Kooperative beschlossen hat, mit dem neuen Käufer in der Region mitzugehen. Dass sie aus dem Toca-Projekt aussteigen und die Kooperative verlassen würden. Die Hoffnung lag nun auf dem neuen Käufer, der einen höheren Preis als wir bieten konnte.
Im Juni 2023 erreicht mich dann die Botschaft, dass der Käufer den Kaffee nun doch nicht kaufte und die dreizehn ehemaligen Kooperativen-Mitglieder ihren Kaffee auf dem lokalen Markt verkaufen mussten.
Diese Nachricht machte mich traurig. Das elende Schicksal, dass Käufer ihre Versprechen nicht gehalten haben und das nun einige Produzenten zu mehr Härte und Misstrauen veranlasste, ereilte sie schon wieder.
Als Kaffeerösterei sind wir das Bindeglied zwischen der diversen kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der südlichen Hemisphäre, und einer ebenso diversen Kundschaft in der DACH-Region. Mehr zu diesem Spagat im nächsten Kapitel. Die Arbeit der Rohkaffeebeschaffung geht dann in eine Tiefe, in der wir Veränderungen herbeiführen können, wenn wir uns intensiv mit den Menschen und dem Ort auseinandersezten, wo der Kaffee herkommt.
Um Wandel mit dem Toca-Projekt zu initiieren geht es dabei um diese konkreten Punkte:
Dieses Projekt geht damit weit über den puren Einkauf von Rohkaffee hinaus. Wir gehen Verpflichtungen ein und exponieren uns dabei.
Die Region rund um Ixpaluca ist das, was in der mexikanischen Behördensprache als “ländliche Entwicklungsregion” gilt. Die meisten Menschen produzieren Mais, etwas Getreide, vielleicht Kaffee, halten Tiere und leben von der Subsistenzwirtschaft sowie: Subventionen.
Die Unterstützungszahlungen sind auch in Mexiko beliebte Mittel, um mit relativ wenig Aufwand positiven Wandel herbei zu denken. Die Effekte zeichnen sich jedoch nicht wie gewünscht ab, die Region bleibt ärmlich. In Ixpaluca selbst gibt es keine Apotheke, zum nächsten Arzt dauert es mehrere Stunden.
Als Kaffeeeinkäufer sind wir oft in diesen Situationen, dass wir ärmliche Gegenden besuchen, Stunden oder wenige Tage da verbringen, und wieder weg sind.
Wir kommen für den Kaffee und gehen mit Erinnerungen und Bildern im Kopf, die das tägliche Leben zeigen. Eines, das anders als bei uns ist und eines, das wir versuchen, zu verstehen.
Die Farmen in der Sierra de Zongolica sind klein und die meisten Produzierenden können nicht von der Kaffeeproduktion leben.
Sobald wir nun als Käufer in dieser Region aktiv werden, sind wir unweigerlich mit den Menschen verbunden. Um einen positiven und progressiven Wandel herbeizuführen, dient in erster Linie der Kaffeepreis, der so attraktiv sein soll, dass wir mit diesem eine finanzielle Basis teilweise mitliefern können, so dass Produzenten frei entscheiden können, wo sie wie wachsen und investieren.
In anderen Fällen, wie zum Beispiel in Nicaragua auf unserer eigenen Farm, bauen wir an einer Küche und einem Wohnhaus für die Familie, die auf der Farm wohnt. Als Besitzer der Farm in Nicaragua sehen wir uns in der Pflicht, ansehnliches Wohnen und Leben auf der Farm zu gewährleisten. Im Falle des Toca-Projekts sind wir weder Besitzer, noch direkter Käufer, sondern die End-Käufer, die ein Projekt als Einladung anbieten, einen anderen landwirtschaftlichen Ansatz und die dazugehörende Zertifizierung herbeizuführen, was den Produzenten weitere neue Märkte erschließen soll.
Als Käufer, die nicht vor Ort leben, ist es nicht unsere Rolle, in lokale Entscheidungen und Prozesse einzugreifen. Wir dürfen aber Einladungen für alternative Wege aussprechen, die angenommen, und auch wieder abgelehnt werden können.
Was hierbei das wichtigste Moment ist, was ein solches Projekt voranbringt, ist die Konstanz und die Nähe. Die Konstanz, dass Ensambles als Implementierungspartnerin vor Ort ist. Die Konstanz, dass wir jedes Jahr Kaffee abkaufen, mit der Idee, dieses Volumen zu steigen. Und die Nähe, die durch Lorena als Dorfbewohnerin gegeben ist.
Kaffeeröstereien machen per se einen grossen Spagat. Mit einem Bein sind sie involviert in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der südlichen Hemisphäre. Mit dem anderen Bein stehen sie im direkten, täglich differenzierteren Endkonusmentenmarkt, wo kurze Aufmerksamkeitsspanne den Druck nach immer knackigeren Versprechen zu erhöhen scheint.
Auf der einen Seite arbeiten wir also im Jahresrhythmus, wenn wir von Ernte zu Ernte planen. Auf der anderen Seite arbeiten wir im Stundenrhythmus, wenn wir Instagram-Stories hochladen und im direkten Dialog mit Konsumentinnen sind. Dieser Kontrast ist enorm und trifft Kaffee als Produkt wie kaum ein zweites.
Kleinbäuerliche Landwirtschaftsrealitäten aus der südlichen Hemisphäre treffen auf Tagestrends im End Consumer Markt.
Röstereien, die sich dieser Situation bewusst sind und auf der eigenen Lieferkette aktiv werden möchten, kommen ziemlich rasch in eine ähnliche Situation, in der wir uns in der Sierra de Zongolica befinden. Wir sehen die Zustände, wie sie sind.
Aber wir sehen auch, dass es nicht unsere Verantwortung ist, strukturelle Probleme lösen zu wollen. Jedoch verstehen wir, dass wir mit dem Kaffee-Einkauf eine Art der Extraktionswirtschaft betreiben: Ixpaluca produziert, wir kaufen ein. Das Wissen über diese Gemengelage befreit uns nicht vor der Verantwortung, macht uns aber auch nicht haftbar, wenn wir nichts tun.
Es tun sich aber Chancen auf, die eine Kaffeerösterei hier nutzen kann: sie kann sich mit einem Ort und den Menschen verbinden.
Sie kann Beziehungen knüpfen, verlässliche Partnerin sein, Übersetzerin für einen Markt, der weit weg ist. Sie kann das Fenster zu einem Markt aufstossen und eine Marke nach aussen tragen und so andere potenzielle Käufer mitnehmen - was wir dieses Jahr mit den Kollegen von Black Hen und der Kaffeewerkstatt Kucha gemacht haben.
Wenn wir nun also die Lieferketten menschlicher werden lassen und uns als Menschen in dieser Kette begegnen - was spricht dagegen, die reine Extraktion von Kaffeebohnen nicht noch weiter mit flankierenden Massnahmen aufzuladen, die das Leben etwas besser machen könnten?
Solange die Deutungshoheit und die Entscheidungsmacht symmetrisch ist, steht einem gemeinsamen Ansatz, den Status Quo zu verbessern, nichts im Wege.
Und so sind wir im regen Austausch mit unseren Partnern in Mexiko. Die Updates freuen uns, sie sind manchmal besorgniserregend, dann sind sie überschwänglich freudig, dann pragmatisch und wieder vielversprechend. Die Arbeit aus Zentraleuropa mit Kaffeeproduzierenden ist eine Fernbeziehung. Sie braucht Zeit, Konstanz und viel Vertrauen, das nur dann entsteht, wenn wir beide unseren Teil erfüllen und im ehrlichen Austausch sind. Und das ist es, was uns an der Arbeit die Energie gibt.
Vámonos!
Zum Kaffee:
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
4 Kommentare
Con gusto si podemos ser de ayuda para Ensambles, aquí estamos cerca.
Und viel Kraft wenn solch traurige Nachrichten reinkommen, wie Produzierende, die das Projekt verlassen und damit auf die Nase fallen.
Vielleicht spricht sich aber auch herum, dass ihr bzw das Projekt anders seid, sodass dies nicht mehr passiert.
Was denkst du?