Die Säure im Kaffee gibt immer wieder Anlass für Diskussionen. Die einen lieben sie, die anderen verzichten gerne darauf. Jedoch, Säure ist essenzieller Bestandteil eines jeden Kaffees und ist verantwortlich für eine geschmackliche Balance. Wir erklären, warum Säure so wichtig ist und definieren, was gute und schlechte Säuren im Kaffee sind.
“Hipster-Kaffee” höre ich immer wieder, wenn über Cafés gesprochen wird, die Kaffees ausschenken, die nicht der bekannten Norm entsprechen. Oft beginnt die Kritik damit, dass diese Kaffees “nur sauer” wären und nichts mit Kaffee zu tun hätten.
Das gleiche Phänomen erleben wir als Kaffeerösterei und Kaffeeschule auch immer wieder, wenn die Rede von einem “richtig guten Espresso” ist. Dann geht damit nämlich oft die Vorstellung von einem klassisch süditalienischem Espresso all’Italiana einher.
Natürlich sind Kaffees mit mehr Säure kein Trend – und wenn, dann wäre es einer, der gekommen ist, um zu bleiben. Wir sehen das viel mehr als eine Entwicklung, dass wir als Konsumierende immer mehr Perspektiven auf Kaffee kennen lernen.
Ein Beispiel: wenn unsere Partner aus Nicaragua bei uns sind und einen Espresso verkosten, schaffen sie es kaum, den Kaffee auszutrinken.
“Zu stark, zu bitter, zu intensiv” sei ein Espresso in Europa. “Und es fehle die Säure!”
Team Santa Rita
Die meisten Menschen lernen Kaffee auf Reisen neu kennen. Sei dies in den Städten mit einer hohen Dichte an Spezialitätencafés, oder in Kaffeeländern selbst. Da schmeckt der Kaffee meistens anders, als wir ihn in Zentraleuropa trinken. Gerade in Kaffeeländern wird viel gefilterter oder gekochter Kaffee getrunken, Espresso ist deutlich weniger verbreitet.
In Zentraleuropa ist der Espresso aus eher dunkel gerösteten Bohnen weiterhin das, was für viele als guter Espresso gilt. “So ein richtiger Espresso” heisst dann oft, dass diese auch richtig dunkel sind.
Als ich 2009 zum ersten Mal in einem Specialty Coffee Shop in den USA war, hatte ich einen überaus schlechten Espresso. Er war nur sauer – und, obwohl ich damals voll auf dem Säuretrip war, konnte ich den Espresso kaum trinken. Überdosiert und unterextrahiert war der doppelte Ristretto, und das mit einer hellen Röstung. Ich fand das nicht lecker, würde es heute ebenfalls nicht lecker finden, aber der Coffee Shop lief gut und die Gäste mochten den Kaffee.
Geschmack ist angelernt. Was wir lecker finden, und was nicht, wird durch unsere Sozialisierung, durch unseren Kontakt mit vielen oder wenigen Nahrungsmitteln mitbestimmt. Ob wir Kaffees mit wenig oder viel Säure mögen, hängt in erster Linie damit zusammen, was wir schon kennen, und zweitens, wie offen wir für das sind, was nicht unserer Erfahrung entspricht. Und dann erst setzt unsere Qualifizierung ein, ob wir den Kaffee nun gut finden oder nicht.
Als ich meinen ersten, säurebetonten Espresso von einer bekannten englischen Rösterei trank, fand ich das erst einmal befremdlich. Ich sollte noch ganz viele Geschmacksnoten schmecken, wenn ich der Packung Glauben schenkte. Ich hatte förmlich das Gefühl, den Kaffee gut finden zu wollen – und suchte also fortan säurebetonte Kaffees. Als ich dann wieder einen normaleren Kaffee mit kaum wahrnehmbarer Säure trank, fehlte aber etwas. Der Kaffee war stumpf, eingleisig, es passierte: Nichts. Meine Zunge wurde nicht getriggert.
Gleichzeitig stellte sich die Erkenntnis ein, dass Säure ja nur ein Teil des ganzen Geschmackserlebnis ist. Es geht um Balance. Es geht um Süsse. Es geht um Vielschichtigkeit, die Klarheit der Aromen, die Intensität der Attribute und die angenehme Textur.
Wer sich für Spezialitätenkaffee interessiert, hat bestimmt schon Kaffees mit mehr Säure als der Regelfall getrunken. Die einen bleiben dabei, die anderen gehen zurück. Die einen gehen zurück und wissen, was sie am Gelernten haben. Die anderen gehen zurück und können dieser Art Kaffee sehr wenig abgewinnen – und damit wären wir wieder bei den Perspektiven.
Die Säure-Diskussion spaltet die Geister, die Gaumen, und dreht sich im Kreis. Deshalb erklären wir in den folgenden Punkten, was Säure im Kaffee ist, was sie macht, was sie kann, und woher sie kommt.
Unabhängig der Thematik können wir Dinge nur so präzise beschreiben, wie wir sie ausdrücken können. Manchmal stellt uns da die Sprache vor besondere Herausforderungen. Auf Schweizerdeutsch wird das Substantiv Säure (Süüri) deutlich weniger benutzt als das Attribut sauer (suur). Viele Dinge sind einfach suur. Oft wird suur auch als Attribut für schlechten Kaffee benutzt.
Temperatur und pH werden hier während einer Fermentation von Kaffeekirschen gemessen.
Auf Hochdeutsch ist der Fall ganz ähnlich, nur wird – zumindest in Produktbeschreibungen – Säure öfters verwendet als sauer. Ob es sprachlicher Natur ist, oder nicht – es sind technisch gesehen auch verschiedene Dinge.
Und wie so oft ist hier das Englisch einfach noch präziser: Acidity (Säure) im Kaffee ist positiv. Ist ein Kaffee aber sour (sauer), ist das eine negative Beschreibung.
Acids hingegen sind dann die Säuren, von den bis zu 40 in einem Kaffee auch messbar nachgewiesen werden können.
Weil es technisch zwei verschiedene Dinge sind.
Säure (oder eben acidity) nimmt Bezug auf das Geschmacksprofil des Kaffees.
Sauer nimmt Bezug auf den pH-Wert des Kaffees.
Kaffee ist mit einem pH-Wert von ca. 5 (4.85 – 5.1 pH) ein mild saures Getränk. Tomatensaft (pH 4) und Limonaden (pH 3) sind deutlich saurer. Deutlich, weil die pH-Skala logarithmisch ist – also ein Wert von 1 pH Unterschied ist 10x höher/tiefer. Eine Limonade ist also 100 mal saurer als Kaffee.
Auch wenn die Vermutung nahe liegt: die Menge an geschmacklich wahrnehmbarer Säure hat keinen Einfluss auf den pH-Wert des Getränks. Ein stark säurebetonter Espresso aus Kenia hat in dem Fall den gleichen pH-Wert wie ein dunkel gerösteter Malabar.
Der Unterschied zwischen diesen Kaffees liegt also in der Empfindung der Säure, sauer sind sie aber beide.
Von den knapp 40 Säuren, die im Rohkaffee festgestellt werden können, sind es die Chlorogensäuren, die den grössten Anteil haben. Sie treten mit zwischen 6 – 7% in Arabica und knapp 10% in Robusta auf. Im Verhältnis zu Koffein (1-2%) ist der Gehalt an Chlorogensäuren in Kaffee also deutlich höher.
Chlorogensäuren sind eine Familie von verschiedenen, natürlich auftretenden Verbindungen – solchen, die während der Röstung degradieren (mono-caffeeoyl) und solchen, die sich während der Röstung kaum verändern (di-caffeeoyl). Chlorogensäuren zerfallen bei der Röstung in die bitter schmeckenden Chlorogensäurelactone. Und da Robusta mehr Chlorogensäuren als Arabica hat, ist jener deshalb schon bitterer als Arabica. Ausführlich zu Chlorogensäuren berichtet hat Coffeeness hier.
Viele der im Rohkaffee vorhandenen Säuren überstehen den Röstprozess nicht. Je länger und je dunkler geröstet wird, umso mehr bauen sich die wahrnehmbaren Säuren ab.
Geschmacklich unterscheiden aber können wir nur wenige Säuren von all den vorhandenen.
Die Säure mit der höchsten Konzentration im Kaffee. Es ist die Säure, die in jedem Kaffee auftritt – und je nach Intensität einfacher oder schwieriger als solche erkannt werden kann. Die Zitrussäure kommt natürlich im Stoffwechsel der Pflanze vor, sie spielt eine wichtige Rolle als Energielieferant. Geschmacklich erinnert sie an – wie könnte es anders sein – Zitrusfrüchte (Zitronen, Limetten, Orangen).
Die Apfelsäure finden wir in Äpfeln, Birnen oder auch Rhabarbern. In der Weinproduktion wird sie im Biologischen Säureabbau durch Milchsäure ersetzt, da sie eine aggressiv-saure Eigenschaft haben kann. Im Kaffee tritt sie oft ähnlich wie die Zitrussäure auf, jedoch etwas süffiger, balancierter, und für viele an einer anderen Stelle auf der Zunge.
Die Phosphorsäure ist kein organische, sondern eine mineralische Säure.Sie soll über die Zusammensetzung des Bodens, und/oder über die Art der Düngung der Pflanze aufgenommen werden. Die Säure ist oft etwas herb, manchmal prickelnd, und harsch. Wir nehmen sie oft in kenianischen Kaffees war.
Die Essigsäure kann in hoher Konzentration extrem unangenehm sein. Sie tritt dann auf, wenn der Kaffee einen Defekt aus einer unkontrollierten Fermentation mit sich bringt. Neue Arten der Nachprozesse und Fermentation im Kaffee bringen ebenfalls mehr Essigsäure in den Geschmack. Wenn dieser Prozess kontrolliert stattfindet, dann wirkt ein gewisser Grad an Essigsäure fruchtig und trägt zu einem positiven Gesamteindruck bei.
Die Milchsäure im Kaffee hat eine ähnliche Qualität wie die Säure eines Quarks – etwas herb, eher sauer, aber schwer. Durch gezielte Fermentation des Kaffees im Nachernteprozess kann der Anteil der Milchsäure gesteigert werden, was einen Einfluss auf die Weichheit der Textur hat.
Das Thema Gesundheit und Kaffee würde einen komplett eigenen Beitrag verdienen – wenn die Beweislage denn wirklich erdrückend gegen den Kaffee wäre. Kaffee werden etwa so viele negative Wirkungen wie auch positive angehängt. Das Thema wird gefühlt im Sommerloch hochgespült und versickert dann wieder für ein Jahr. Fest steht so viel: jeder Mensch reagiert anders auf Kaffee. Arne Preuss hat diese Debatte in einem Blog schön aufbereitet.
Auf den Verarbeitungsschritten vom Kaffeebaum bis in die Tasse existieren verschiedene Passagen, wo der Kaffee seine Säure behalten, oder verlieren kann. Alles startet mit der Pflanze.
Die Zellatmung ist für das Wachstum der Pflanzen und die Entwicklung der Kirschen verantwortlich. Dabei werden verschiedenste Säuren gebildet. Die Bildung dieser Säuren wird durch die Anbaubedingungen beeinflusst.
Vor allem ein Faktor spielt hier eine grosse Rolle – Temperatur. In höheren Lagen, oder in grösserer Entfernung vom Äquator, und/oder in schattigen Lagen, sind die Temperaturen niedriger. Dies verlangsamt das Wachstum der Kaffeepflanzen und deren Kirschen. Bei einer langsameren Wachstumsrate fokussiert sich die Pflanze mehr auf die Reproduktion und investiert daher mehr in die Ausbildung gesunder Samen. Die langsamer gewachsenen Kaffeesamen zeigen mehr Proteine, Zucker, Fette und auch Säuren, als solche, die schneller gewachsen sind. Umgekehrt reduziert sich der Koffeingehalt bei langsam herangewachsenem Kaffee.
In Arabicas ist der Säure-Gehalt höher als in Canephoras (Robustas). Innerhalb der Varietäten, vor allem bei Arabicas, gibt es auch Unterschiede, jedoch sind die sehr gering. Parainemas z.B., ein Hybrid aus Honduras, zeigt deutlich mehr zitrische Noten unter den gleichen Anbaubedingen, als der IHCAFE90, ein anderer Hybrid. Ich konnte mal bei einem Exporteur eine Versuchsreihe von verschiedenen Varietäten verkosten, die unter den gelichen Bedingungen angebaut wurden. Der Parainema stach heraus. Jedoch sind die Unterschiede sonst deutlich geringer und sind hier zu vernachlässigen.
In unserem grossen Artikel über Nachernteprozesse und Fermentationen gehen wir präzise darauf ein, was genau passiert, nachdem die Kaffeekirsche gepflückt wurde. Kurzum: entpulpte, fermentierte und gewaschene Kaffees haben das Potenzial, mehr wahrnehmbare Säure zu zeigen, als Kaffees, die innerhalb der Kirsche getrocknet wurden – wenn die Kirsche direkt zur Trocknung gebracht wird. Die Lagerung der Kirsche (Tonne, Fass, Tank, Sack, etc.) kann v.a. den Essigsäure-Level beeinflussen. Nachernteprozesse regulieren aber weniger die Säuren, sondern fügen neue Aromen hinzu, oder können bereits vorhandene überdecken.
Wie die Kaffeekirschen nach dem Pflücken weiterverarbeitet werden, hat einen grossen Einfluss auf den Geschmack.
Längere Röstzeiten und höhere Endtemperaturen minimieren die organischen Säuren. Die Essigsäure erreicht jedoch für einen kurzen, instabilen Moment einen Peak, wenn Kaffee in den zweiten Crack geröstet wird. Alle anderen organischen Säuren bauen sich über die Dauer und zunehmende Temperatur der Röstung ab.
Die gelbe Kurve akzentuiert die Säuren, die rote Kurve führt zu einem balancierten Kaffee, während die blaue Kurve viele Säuren reduziert.
Während die Art der Säure durch die bereits besprochenen Faktoren bestimmt wird, ist die Zubereitung verantwortlich für die Menge an extrahierter Säure. Mahlgrad, Brühtemperatur, Brühzeit, Druck und Turbulenzen während der Brühung beeinflussen das Säuretotal, das am Schluss in der Tasse landen kann, wenn es nicht vom Wasser abgepuffert wird.
Wasser mit hoher Alkalinität puffern, oder neutralisieren, die wahrnehmbaren Säuren im Kaffee. Gleichwohl ziehen sie auch den pH-Wert in Richtung basisch. Das Wasser schafft es also, sauer und Säure gleichzeitig zu verändern und ist damit die unsichtbare, aber mächtige Komponente. Welches Wasser für welches Getränk am besten passt, haben wir in diesem ausführlichen Artikel beschrieben.
Wenn wir über “säurelastigen Kaffee” sprechen, über welches Getränk reden wir hier denn genau? Auch dieser Aspekt ist stark an unsere Erfahrung von und an unsere Erwartung an Kaffee gekoppelt. Ich persönlich denke fast ausschliesslich an Filterkaffee, wenn ich an Kaffee denke.
Vielen fällt es einfacher, Säure im Filterkaffee anzunehmen. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass die Kaffee-Konzentration im Filterkaffee deutlich geringer (ca. 1,5% des Getränks ist Kaffee, der Rest ist Wasser) ist, als bei einem Espresso (ca. 10% des Getränks sind Kaffee). Der Espresso ist ein unheimlich intensives, konzentriertes Getränk. Wenn ein Kaffee wenig Säure im Filterkaffee zeigt, wird er viel mehr Säure im Espresso haben.
So verwenden wir in unserer Rösterei nur dann säurelastige Kaffees für Espresso, wenn wir ebenfalls viel Süsse feststellen können – dieses Paar bildet dann eine geschmackliche Balance. Ohne diese Balance wäre der Kaffee primär sauer und schwierig geniessbar. Doch selbst bei ausgewogenen Kaffees, die säurelastig und noch heller geröstet sind, bleibt die wahrgenommene Säure.
Und das schmeckt eben nicht allen, und muss es auch nicht.
Jedoch spielt die wahrgenommene Säure bei Filterkaffee für viele eine weniger dramatische Rolle. Da der Filterkaffee ein verdünntes Kaffeegetränk ist, tut ihm eine wahrnehmbare Säure gut, dass der Kaffee eine Struktur und eine Spannung bekommt. Ohne Säure wäre ein Filterkaffee sehr flach.
Wiederum anders sieht es bei den Kaffeevollautomaten aus. Wer da mit säurelastigen Kaffees arbeitet, wird weniger Freude an den Espressi haben.
Warum?
In Kaffeevollautomaten, die im Haushaltsgebrauch i.d.R. bei Temperaturen von unter 90° brühen, schmecken säurelastige Kaffees noch viel saurer. Die Brühtemperatur ist tief, der Mahlgrad relativ grob, so dass also weniger Süsse und weniger Textur-bildende Stärketeilchen extrahiert werden können.
So schmecken gerade hell geröstete Kaffees auf einem haushaltsüblichen Vollautomaten ausschließlich sauer. Deshalb rösten wir für Vollautomaten-Wünsche anders und schulen dies auch bei unseren Beratungen.
Gute Säuren geben dem Kaffee Frische, Komplexität, Spannung und lassen uns oft an spezifische Früchte denken.
Schlechte Säuren wirken aggressiv trocknen aus können spitz und stechend sein. Das ist dann oft der Fall, wenn wenig bis keine Süsse im Kaffee vorhanden ist.
Sweetness supports acidity, meinte mal ein ehemaliger Jurorenkollege zu mir. Wenn viel Süsse da ist, wird Säure immer spannender. Das Gegenteil gilt genau so.
Wir Kaffeemacher:innen mögen Kaffees, die eine deutliche Säure zeigen. So arbeiten wir mit Rohkaffees, die diese schon mitbringen, und rösten die Kaffees mehrheitlich hell bis mittelhell. Diese Art der Röstung behält viele Säuren im Kaffee drin.
Natürlich mögen aber auch wir alle Kaffees, die mal milder, mal etwas schokoladiger und säurearmer daherkommen. Zum Beispiel unser APAS oder der Henrique aus Brasilien – beides Kaffees, die für unsere Definition weniger Säure haben.
Gerade für unsere Kurse nehmen wir den Kaffee von der APAS-Kooperative, da dieser ein eher klassisches, nussig-schokoladiges Profil bei weniger Säure zeigt. Dieses Profil ist für die meisten Kursbesucher:innen bekannt und fordert deutlich weniger heraus, als wenn wir mit einem hell gerösteten Speciality Espresso arbeiten würden.
Wie bis hierhin schon klar wurde, ist es nicht einfach, Säure positiv zu kommunizieren – aus dem Grund, weil oft schon eine negative Einstellung dazu herrscht. Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, krampfhaft dagegen anzukämpfen, das ist nicht zielführend. Und vor allem sind wir entschiedene Gegner einer Geschmacksdiktatur. Geschmäcker sind individuell und ändern sich nur langsam.
Wir sehen da einen anderen Weg, Spezialitätenkaffee – mit wenig oder viel Säure – schmackhaft zu machen.
Zu Beginn habe ich geschrieben, dass sich die Diskussionen über Säure im Kaffee immer wieder im Kreis drehen. Vielleicht liegt es daran, dass manchmal etwas zu viel Fokus auf diesem Thema liegt?
Oft klingt es in Gesprächen so, als ob guter Kaffee nur zwischen den Gegenspielern Säure und Bitterkeit existiert. Wer sich aber mehr mit der Thematik auseinandergesetzt hat, weiss, dass dazwischen Welten von Geschmacksnoten, Komplexität und Balance liegen.
Vielleicht wäre es ja zeitgemäss, von der Säure-Bitter-Dualität weg zu kommen und Kaffee anders zu beschreiben?
Warum den Fokus also nicht auf den Körper und die Textur legen? Dieses Kaffee-Attribut ist ja so besonders, da es als einziges nicht angelernt ist, da wir es fühlen und nicht schmecken. Ob ein Kaffee cremig oder wässerig ist, können alle, ohne Vorkenntnisse, fühlen. Ob ein Kaffee aber eine Zitrus- oder Apfelsäure aufweist, ist eine viel komplexere Angelegenheit die Training erfordert.
Als ich 2010 an der Schweizer Baristameisterschaft teilgenommen habe, hätte ich den Kaffee so beschrieben, “als ob der nur nach saurem WC-Reiniger schmecken würde”. Das meinte ein etwas herausgeforderter Zuschauer nach meiner Präsentation.
Ich, damals, neu im Geschäft, ging zuerst auf Abwehr, denn ich mochte meinen Kaffee. Als ich meine Beschreibungen dann aber nochmals anschaute, waren die doch alle recht ähnlich. Es ging um Zitrusnoten, spritzig, “zitrisch”, Clementinen und Zitrussäure.
Würde ich den gleichen Kaffee heute nochmals beschreiben, würde ich dies deutlich anders machen. Ich weiss nun, dass Säure nur ein Teil des Ganzen ist, dass die Textur für mich im Fokus steht, und ähnliche Beschreibungen nicht so präzise sind.
So beschreiben wir Kaffees heute auch anders – ein einfacher Hebel ist, dass wir säurelastigere Kaffees mit Früchten assoziieren. Im El Colibri, einem Peruanischen Kaffee den wir als Espresso rösten, finden wir eine tartaric acidity, also eine Weinsäure.
Wenn wir den Kaffee für ein breiteres Publikum nun so beschreiben würden, dass da “Weinsäure” drin ist, verwirrt das eher, als es hilft. Die Assoziation zu Wein ist da, und die allerwenigsten haben jemals Weinsäure pur verkostet.
So liegt es nahe, auf Trauben auszuweichen, die voll mit Weinsäure sind. Der Kaffee bringt allgemein hellere Geschmacksnoten mit, so haben wir uns für Rosinen und “Weisswein-ähnlich” entschieden.
Klingt logisch? Vielleicht, einfach ist es trotzdem nicht.
Viele schätzen Spezialitätenkaffee für die Vielfalt an Aromen, für die Andersartigkeit, für die neuen sensorischen Erlebnisse und vielleicht die Geschichten hinter den Kaffees.
Als ich 2009 einem Freund zum ersten Mal einen Spezialitätenespresso zubereitet habe, war der Kaffee wirklich sehr säurelastig. Vielleicht war er sogar sehr sauer, aber damals suchte ich das Andersartige. Der besagte Freund verzog das Gesicht, schaute mir verwirrt an, gab sich aber Mühe, irgendetwas nebst dieser aggressiven Säure zu entdecken.
Alle Kaffees an dem Abend gefielen ihm nicht. Ob sie mir gefielen, weiss ich auch nicht mehr. Ich versuchte es aber.
Die Säure war also sogleich das Zentrum der Diskussion – nicht die Varietät, nicht die Röstart, nicht die Herkunft, nicht das schicke Branding. Ich versuchte ihm zu erklären, warum da Säure drin ist, weshalb sie bei anderen Kaffees weniger intensiv ist, und warum es positiv sei.
Ich konnte ihn nie überzeugen. Anfangs dachte ich sogar, dass ich das müsse. Heute trinkt er den Henrique von uns und ist unheimlich zufrieden. Ein mitteldunkler gerösteter Kaffee bei weniger Säure. Voll sein Ding.
Über die Jahre habe ich gelernt, dass Säure oft im Zentrum der Diskussionen bei Spezialitäten-Kaffee ist. Also macht es für uns heute Sinn, etwas klassischere, nussigere Kaffees zu zeigen, oder aber gleich das Gegenteil – äusserst aromatische Kaffees, zum Beispiel Naturals aus Äthiopien. Kaffees, die so intensiv anders riechen, dass wir zuerst über die Aromatik sprechen, die Weinvergleiche anstellen, die Vielschichtigkeit erkennen, und irgendwann dann mal auch über die Säure sprechen.
Jemandem erklären, dass Säure im Kaffee etwas Positives sein kann, ist eine schwierige Herangehensweise, Spezialitätenkaffee zu erklären. Selten treffen die – wenn auch stimmigen Argumente – auf Gegenliebe. Liegt der Fokus aber auf der Textur und der Aromatik, ist die erste Hürde geschafft.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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