Milch ist nicht gleich Milch. Zwischen der einen Milch und einer anderen Milch können Welten liegen. Und wir sprechen hier nicht von Geschmack, Fettgehalt oder Preis, sondern von ihrer Auswirkung auf unsere Umwelt.
In unseren Cafés werden mehr als 70 % der Kaffeegetränke mit Milch zubereitet. Das ist ca. sechsmal mehr Milch als Kaffee. Alleine deswegen ist Milch für uns genauso im Fokus wie der Kaffee.
Dürfen wir Milch trinken? Diese Frage ist geeignet, um eine ausgiebige ethische Diskussion zu eröffnen. Der Artikel soll sich weniger um Ethik, Tierwohl oder Ernährungsphysiologie drehen (weitere führende Links findet ihr am Ende des Artikels), sondern beschäftigt sich vor allem mit der Klimawirkung.
Hierfür wollen wir zwei Perspektiven aufzeigen. Die eine führt zu dem Ergebnis: Kühe sind Klimakiller. Die andere zeichnet ein anderes Bild. Doch warum hat Kuhmilch überhaupt diesen hohen gesellschaftlichen Stellenwert und warum ist die Klimawirkung der Kühe an den weltweiten Emissionen so hoch?
Milch gibt es immer dann, wenn ein Säugetier Nachwuchs bekommt. Ohne Nachwuchs also keine Milch. Wenn wir eine andere Milch als Muttermilch trinken, trinken wir immer die Milch eines Säuglings. Also ohne Lamm keine Schafsmilch, ohne Welpe keine Hundemilch, ohne Baby keine Muttermilch und ohne Kalb keine Milch. Kuhmilch ist so wichtig [1], dass sie die einzige Milch ist, die ohne Nennung der Tierart auskommt. Was auch gesetzlich verankert ist: Im Handel innerhalb der EU darf alleine die Milch von Kühen als „Milch“ bezeichnet werden.
Nach der Stillzeit (dem Säugen) hört die Laktasebildung normalerweise bei allen Säugetieren auf. Ohne Laktase können Milchproteine nicht mehr gespalten werden und somit kann Milch nicht mehr im Körper verarbeitet werden. Der Mensch bildet die Ausnahme. Er ist das einzige Säugetier, das nach dem Säuglingsalter noch Milch und Milchprodukte zu sich nehmen kann. Ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung ist heute nur noch laktoseintolerant. Wie kommt es dazu?
Eine neue Studie erklärt: Bereits mit dem Sesshaftwerden begann die Haltung von Nutztieren. Wobei die Milch dem Nachwuchs vorbehalten war. Vor allem in Hungersnöten waren Menschen dann gezwungen, auf tierische Milch zurückzugreifen. In Zeiten von Unterernährung und Mangel führten Intoleranzen in der Regel zum Tod und somit setzten sich die “Laktosetoleranten” durch. So wurden Rinder nach und nach vom Arbeitstier zum Nutztier.
Ab den 1960er Jahren spricht man das erste Mal von Massentierhaltung, wie wir sie heute kennen. Der Begriff versprach damals Versorgungssicherheit und hatte eine positive Konnotation.
Zum heutigen Zeitpunkt gibt es ca. 950 Mio. Rinder [2], wovon ca. 260 Mio. Milchkühe [3]. Pro Kopf lag der Milchkonsum 2022 in Deutschland bei 46,1 kg. (Die Tendenz ist fallend) [4].
Ein Blick auf die Liste der klimaschädlichsten Lebensmittel zeigt, dass die ersten drei Plätze die Kuh. Butter, Rindfleisch und Milchprodukte (Sahne, Milch und Käse) gehen. [5]. Da liegt der Schluss nahe, dass eine Welt ohne Kühe eine bessere wäre.
Konventionell hergestellte Milch (und Milchprodukte) schneiden in der Klimabetrachtung besonders schlecht ab. Denn bereits der Anbau des Kraftfutters, das größtenteils aus Übersee importiert wird, verursacht dort Waldrodungen und setzt große Mengen gespeicherter Kohlenstoffs frei. Die aufgesetzten Monokulturen brauchen große Mengen an Düngern. Dünger-Herstellung ist ressourcenintensiv und es entstehen große Mengen an CO₂. Bei der Ausbringung dieser können erheblich Mengen an Lachgas entstehen. (Lachgas ist besonders schädlich, da es eine 300-fache Klimawirksamkeit im Vergleich zu CO₂ hat). Durch den Transport des Kraftfutters nach Europa entsteht weiteres CO₂. Mit den transportierten Pflanzen kommt der gespeicherte Stickstoff auch nach Europa und überdüngt in Form von Kuhdung die Felder. So entsteht eine Auslaugung im Anbau und eine Überdüngung in Europa. Beides führt zu Maßnahmen, welche mit mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre enden. Ein Teufelskreis für die Böden und das Klima.
Hinzu kommt, dass die Kuh selbst bei der Verarbeitung von Nahrung in großen Mengen Methan (ca. 550 L pro Tag, Methan ist wiederum ca. 28x schädlicher für das Klima als CO₂) erzeugt. Damit ist der Methanausstoß “der Kuh” für ca. 48 % der landwirtschaftlichen Emissionen in Deutschland 2022 verantwortlich.[6]
Je nach Haltungsform entstehen somit in Deutschland, 0,9 kg CO2e (ökologische Weidehaltung, mit Allokation des Fleischverkaufs) bis 1,64 kg CO2e (konventionelle Haltung ohne Weidegang, ohne Allokation) [7] der Durchschnitt weltweit liegt jedoch bei 2,4 kg CO2e pro Liter Milch [8].
Die Emissionen (weltweiter Durchschnitt) liegen etwa bei den Emissionen, die bei der Verbrennung von einem Liter Benzin entstehen. (Tank-to-Wheel-Betrachtung → also alleine die Verbrennung, ohne Gewinnung)
Ist 1 Liter Milch so schädlich wie 1 Liter Benzin?
Es gibt verschiedene Ansätze, von der Steigerung der Milchleistung bis hin zu Futtermittelzusätzen, die den Methanausstoß reduzieren. [9]
Eine Lösung wäre die Steigerung der Milchleistung bei gleichbleibendem Methanausstoß. Vor 100 Jahren lag die Milchleistung einer Kuh bei ca. 2000 Litern im Jahr, heute liegt sie bei etwa 8000 Litern. (Dabei handelt es sich um Werte von Kühen, die für die Milchproduktion gezüchtet wurden. Bei Zweinutzungsrassen, sind die Werte niedriger. Bei unserem Milchbauern, z. B. geben die Kühe etwa 4000L im Jahr.) Legt man den täglichen Methanausstoß einer Kuh, ca. 550 L (was wiederum ~400 g entspricht) auf die jährliche Milchleistung um.* So hatte die Milch von vor 100 Jahren einen Fußabdruck von 2,05 kg CO₂-Äquivalenten, dem entgegenstehen 0,51 kg CO2e heute. Kommen dann noch Futtermittelzusätze hinzu. Die eine Methanreduktion von einem Drittel versprechen, wären es nur noch 0,34 kg CO2e. Das entspräche einer Reduktion von knapp 84 %. Bei dieser Betrachtung wird jedoch regelmäßig ein Fehler gemacht, es wird nur der Output betrachtet.
Die Kuh vor 100 Jahren hat sehr wahrscheinlich nur Gras von der Weide gefressen, wogegen die Kuh heute das oben beschriebene Kraftfutter bekommen muss, um solche Leistungen zu erzielen. Auch die Futtermittelzusätze müssen hergestellt, verarbeitet, versendet und dem Futter zugefügt werden.
Ist die Kuh von vor 100 Jahren wahrscheinlich die Nachhaltigere? Und liegt die Lösung vielleicht nicht in technischem Fortschritt, sondern in der Haltungsform?
In vielen Betrachtungen wird die Kuh als Milchmaschine betrachtet und ihre Emissionen werden auch wie die von Maschinen auf das Endprodukt umgelegt. Diese Maschinen lassen sich optimieren, der Output erhöhen und die Emissionen verringern. Alles technische Optimierung für ein Lebewesen. Wir möchten noch eine andere Perspektive aufzeigen.
Jeder Mensch stößt CO₂ aus, genau wie bei der Kuh verstoffwechseln wir unsere Nahrung und emittieren dabei CO₂ (und auch Methan). Das mag nur ein kleiner Teil sein (zwischen 168 und 2040 Kilogramm Kohlendioxid pro Jahr; [10]
Vergleich der CO₂-Äquivalente von Methan der Milchkühe und d CO₂ der Menschheit
Annahme 1: 8 Mrd. Menschen; jeder emittiert im Jahr Ø 1,1 t CO₂ durch ihre Atmung
Annahme 2: 260 Mio. Milchkühe; jede emittiert am Tag etwa 400 g Methan; die Treibhauswirkung von Methan ist 28x höher als die von CO₂. Somit liegt die Ø CO2e-Emission bei 4,1 t CO₂ durch die Methan-Ausscheidung.
Demnach emittiert die Menschheit 8,8 Mrd. t CO₂ während die Milchkühe “nur” 1,07 Mrd. t CO2e durch ihren Methanausstoß emittieren. ( Nimmt man auch die Rinder aus der Fleischhaltung dazu läge der Ausstoß bei 14,98 Mrd. t CO2e)
(Es fehlt hier die Atmung der Kühe und der Methanausstoß der Menschen)
Sowohl unsere Atmung als auch der Methanausstoß der Kühe ist Teil des Kohlenstoffkreislaufs. Methan zerfällt zu CO₂ und Wasserstoff. Dieses CO₂ wird von den Pflanzen aufgenommen, die den Kohlenstoff speichern und den Sauerstoff wieder in die Atmosphäre abgeben.
Kühe stellen uns so Proteine und Kohlenhydrate zur Verfügung, die für uns sonst nicht verfügbar wären. Mais und Soja können wir selbst verdauen, Gräser nicht.
Wir beziehen unsere Milch von Jonas Plattner. Er hat eine kleinbäuerliche Bio-Milchproduktion in Reigoldswil in der Schweiz.
Wir wissen alle, dass Bäume CO₂ binden. och viel wichtiger für unser Klima sind die Böden: Waldböden, Wiesen und Moore. Technische Lösungen im Kampf gegen die Klimaerwärmung ahmen nach, was die Natur bereits gelöst hat.
Mit der Massentierhaltung wurden immer mehr Tiere auf immer weniger Fläche gehalten. Damit konnte die restliche Fläche für den Anbau von Futtermittel genutzt werden. Wie beschrieben führt das aber zu Auslaugung an dem einen und Überdüngung an dem anderen Ort.
Doch wenn die Rinder zurück auf die Wiesen kommen, können sie für zusätzliche Kohlenstoffbindung sorgen und diese Weiden, die als Ackerland nicht taugen, für die menschliche Ernährung verfügbar machen. Für ideale Kohlenstoffbindung müssen sie in kurzen Abständen in kleinen Weidebereichen gehalten werden, so kann in diesem kleinen Bereich gegrast und mit Kuhmist gedüngt werden (Mob Grazing). Danach bleibt dieser Bereich für eine bestimmte Zeit in Ruhe, um sich zu erholen. So wird das Wurzelwachstum begünstigt, bevor die Rinder erneut darauf grasen dürfen.
Kein Grasland ohne Graser.
Rechnet man die Kohlenstoffbindung, die so entstehen kann, gegen die Emissionen, sieht die Gesamtbilanz der Kühe komplett anders auss. Hier gibt es leider wenige Studien. Eine davon ist von “White Oak Pastures”, [11] die zu dem Ergebnis kommen, dass für jedes kg Fleisch ca. 1,6 kg CO₂ in den Böden gespeichert werden.
Zurück zur Milch. Wir haben es selbst in der Hand, wir können für unseren Bedarf zu Hause wählen: Unterstützen wir den Status Quo, greifen wir zu Alternativen wie Hafer oder nehmen wir die regenerative Variante. Zwei von drei Optionen haben tendenziell positive Klimaeffekte. Das klingt doch gut. (Tatsache ist aber, dass der reale Anteil (noch) gering ist.)
In Deutschland gibt es rund 100 Betriebe, die Milch nicht nur regenerativ, sondern zusätzlich noch in Muttertier-Haltung produzieren. Das Besondere dabei ist, dass die Kälbchen bei der Mutter aufwachsen und zuerst trinken dürfen und der Mensch das nimmt, was “übrig” bleibt. Der Bio-Anteil an aller produzierten Milch sind ca. 3,5 %, davon sind ca. 2 % Mutter-Kalb-Aufzucht. [12]
Als Bürger lehnen wir Massentierhaltung ab, doch als Konsumenten noch nicht.
[1] vgl.: statista.com, Milch - Deutschland, Stand: 28.09.23
[2] vgl.: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/28931/umfrage/weltweiter-rinderbestand-seit-1990/, Stand: 28.09.23
[3] vgl.: agrarheute.de, Milchviehhaltung XXL: Weltweit wächst die Herdengröße , Stand: 28.09.23
[4] vgl.: tagesschau.de, Warum Deutsche weniger Milch trinken, Stand: 28.09.23
[5] vgl.: utopia.de, Diese 6 Lebensmittel sind am schlimmsten fürs Klima , Stand: 28.09.23
[6] vgl.: umweltbundesamt.de, Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen, Stand: 28.09.23
[7] vgl.: umweltbundesamt, Sichtbarmachung versteckter Umweltkosten der Landwirtschaft am Beispiel von Milchproduktionssystemen, Stand: 28.09.23
[8] vgl.: bauernverband.de, Methanemissionen in der Rinderhaltung, Stand: 28.09.23
[9] vgl.: dsm.com, The proven solution for methane reduction, Stand: 28.09.23
[10] vgl.: co2online.de, Was atmet der Mensch aus, Stand: 28.09.23
[11] vgl.: whiteoakpastures.com, Study: White Oak Pastures Beef Reduces Atmospheric Carbon , Stand: 28.09.23
[12] vgl.: ardmediathek.de, Inhalt , Stand: 28.09.23
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
1 Kommentar
gute Beitrag! Erlaubt mir aber eine Bemerkung am Rande:
Das Enzym zum Spalten der Milchproteine heisst Laktase und nicht Laktat. Laktat ist ein Stoffwechselprodukt welches beim Abbau von Glucose entsteht.
Gruss
Michael
Was denkst du?