In diesem Artikel betrachten wir Kaffee und die Kaffeepflanze aus der botanischen Perspektive. Wie ist die Pflanze aufgebaut, was machen Wurzel, Blatt und Früchte? Und wie beschreiben wir sie innerhalb der Botanik korrekt?
Alle wissen, welches Gefühl frisch gemahlener Kaffee auslösen kann. Nur schon der Gedanke daran kann die Lust auf Kaffee wecken. Nicht umsonst hilft es, Kaffee immer frisch zu mahlen, denn die Aromen verflüchtigen sich innerhalb kürzester Zeit.
Den gemahlenen Kaffee geben wir in einen Siebträger, einen Kaffeefilter oder eine French Press, gießen oder pressen heißes Wasser darüber und genießen. Doch, was trinken wir eigentlich, wenn wir Kaffee trinken?
Wir trinken den getrockneten, gerösteten, gemahlenen und gebrühten Samen einer Frucht der Gattung Coffea.
In der Kurzform nennen wir das einfach Kaffee - doch die Unterschiede zwischen Gattung, Arten und Varietäten sind groß; viele Arten können wir gar nicht trinken, und verschiedene Varietäten riechen und schmecken nicht nach dem gewohnten Getränk, das wir einfach “Kaffee” nennen.
Noch immer werden Kaffeeverpackungen mit “100% Arabica” beschriftet, was erstens der Komplexität des Produkts nicht gerecht wird und zweitens keinen Mehrwert an Informationen bietet. Die Unterscheidung in Arten alleine ist zudem auch nicht mehr zeitgemäß. Die Kaffeepflanze unterliegt dem Klimawandel genauso wie andere Organismen und so sollten wir unser Vokabular erweitern, um den Kaffee der Zukunft verstehen und beschreiben zu können.
Damit wir Kaffee zukünftig, trotz steigender Temperaturen und unvorhersehbaren Wettermustern, überhaupt noch trinken können, braucht es noch mehr Forschung über die Weiterentwicklung der Kaffeepflanze - und dazu gehört eben auch die vertiefte Auseinandersetzung mit verschiedensten Varietäten und Arten.
Forschende sind seit Jahren intensiv damit beschäftigt, neue Kreuzungen aus dem Labor ins Feld zu bringen und zu skalieren. Die reduzierte Unterscheidung in Arabica und nicht-Arabica (z.B. Robusta) greift da viel zu kurz.
Die botanische Taxonomie, also die Klassifizierung der Kaffee-Pflanze in Kategorien, ist aber nicht selbsterklärend. Das sind Gründe genug, dieses wichtige Grundlagenthema auseinanderzunehmen.
An einem Mittagessen mit Agronomen habe ich mal gefragt, ob die Kaffeepflanze nun ein Baum oder ein Strauch sei. Eine witzige Grundsatzdiskussion über Definitionen entfachte sich, wobei sich am Schluss fast alle einig waren:
Die Kaffeepflanze ist ein Baum. Denn Bäume haben in aller Regel nur einen Hauptstamm, aus dem Boden ragt. Büsche hingegen haben mehrere hölzerne Stämme, die auch einzeln geschnitten werden können.
Kaffeebäume im Agroforstsystem in Marcala, Honduras.
Der Kaffeebaum entstammt aus dem Samen einer Frucht. Der Kaffeesamen ist die eigentliche Kaffeebohne, die aus einer entpulpten Kaffeekirschen gelöst werden kann. Dieser Samen sollte relativ frisch mit einem Feuchtigkeitsgehalt von noch über 50% gesät werden.
Die Samen werden meistens in einem Substrat aus Sand und lockerer Erde gut genässt und zur Keimung gebracht. Nach einem Monat hat sich schon das Hypokotyl gebildet, der unterste Abschnitt der Sprossachse, zwischen den noch feinen Wurzeln und dem Keimblättern. Das Pergamino (parchment), oder auch Hornschale genannt, verdeckt die Keimblätter noch, bevor diese in Kürze abgestoßen werden.
Nach gut drei Monaten sind die Setzlinge so weit, dass sie in individuelle Plastiksäcke mit Erde umgepflanzt werden. Bei einer höhe von ca. 40cm und einem gut ausgebildeten Wurzelsystem werden sie nach ca. 1 Jahr ins Feld ausgebracht und eingepflanzt.
Es dauert im Regelfall drei Jahre vom keimenden Samen bis zur ersten kleinen Ernte. Hybride jedoch, also eine aus einer Kreuzung verschiedener Arten hervorgegangene Pflanze, können schon nach zwei Jahren Früchte produzieren. Diese Beschleunigung des Wachstums-Prozesses bringt mehr Effizienz in die Planung einer Kaffeefarm.
Ein Kaffeebaum kann mehrere Jahrzehnte Früchte geben, wenn er gut gepflegt wird. Die Produktionsleistung nimmt aber ab ca. 20 Jahren graduell ab. Die Baumstämme verholzen zunehmend, der Ertrag an Früchten nimmt ab. Zudem können Bäume in fortgeschrittenem Alter anfälliger für Krankheiten werden.
Wintgens schreibt in seinem Klassiker von 2004, dass eine Kaffeepflanze in Produktion kaum älter als 30 Jahre sei. In Gespräche mit Handelshäusern und Produzierenden aber stellte sich heraus, dass ihre Pflanzen kaum älter als 20 Jahre seien, und dass 30 Jahre “vor einiger Zeit” mal richtig gewesen sein möge. Die klimatischen Herausforderungen an die Kaffeepflanzen haben sich dramatisiert und sie unterliegen dem Wandel massiv.
Auf dieser Farm in Santa Barbara, Honduras, wird es bis zu 33 Grad heiss. Für die Kaffeeproduktion ist das zu hoch. Der Fokus auf Agroforstwirtschaft wird immer wichtiger.
Viel eher zeigte sich in den Gesprächen mit Produzierenden, dass mehr als 90% ihres Baumbestands jünger als 15 Jahre ist. Die Kooperative Norcafé in Peru motiviert ihre Mitglieder, Pflanzen nach 15 Jahren auszuwechseln. Die Bäume würden dann immer mehr in das Holzwachstum investieren und weniger in die Produktion von Früchten, der Ertrag nimmt graduell ab. Früchte würde der Baum zwar noch weitere 15 Jahre geben, aber nicht in einem Verhältnis, das effizient wäre.
Die Kaffeepflanze ist eine mehrjährige Pflanze. Ohne ein gut ausgebildetes Wurzelsystem könnte die Pflanze ihre Nährstoff- und Wasserversorgung nicht garantieren und schließlich nicht verlässlich Früchte geben. Für die Baumgesundheit ist ein gutes Wurzelsystem Grundbedingung.
Wintgens spricht davon, dass die Pfahlwurzel bis 1m tief in die Erde ragen kann. Lockere Böden erlauben dem Wurzelsystem einer einzigen Kaffeepflanze, bis 15m3 an Boden mit ihren Wurzeln zu durchdringen. (Wintgens, S. 7)
Die Aufgabe der Wurzeln ist klar: sie Wurzeln nehmen Wasser auf und leiten es in der Pflanze weiter. Gleichzeitig dient Wasser als solvent, als Lösungsmittel, das Gas und Mineralien in die Zellen und Organe weiterleitet. Das Wurzelsystem funktioniert als Speicher für Kohlenhydrate und produziert Pflanzeneigene Wachstumshormone.
Verschiedenste Faktoren beeinflussen die Form und den Auswuchs eines Wurzelsystems. Die Art und die Varietäten, die Menge an Früchten, die Widerstandskraft des oberirdischen Teils, Attacken von Pilzen oder Krankheiten, der Abstand zur nächsten Pflanze, die Bodenbeschaffen- und Gesundheit und der Wasseranteil im Boden.
Nur, weil wir die Wurzeln nicht sehen, heißt es nicht, dass sie nicht in unserem Bewusstsein sein sollten. Die Ausprägung des Wurzelsystems bei der Kaffeepflanze, und anderen Bäumen, sind beeindruckend - und zeigen ziemlich genau, was oberhalb der Erde passiert ist, oder gerade passiert. Wurzelsysteme sind so etwas wie das EKG und die Bibliothek gleichzeitig.
Im vollen Entwicklungsstadium hat der Kaffeebaum eine Pfahlwurzel, die senkrecht und bis zu gut einem halben Meter tief in die Erde dringt. Diese Wurzel ist die größte Wurzel und zeigt klar auf, warum wir von einem Baum reden. Wird diese Pfahlwurzel nicht gerade gesetzt in jungem Alter, kann sie sich verkrümmen, so verhärten und der Baum wächst nicht so wie geplant.
Die Nebenwurzeln (axial roots) sind die Wurzeln, die am Tiefsten in den Boden vordringen und sich bis zu 3m in alle Richtungen entwickeln. Die seitlichen Wurzeln verlaufen parallel zum Boden, bleiben oberflächlich und kommen je nach Pflanzdichte mit benachbarten Wurzeln in kontakt. Die Feinwurzeln oder Haarwurzeln sind Wurzeln unterschiedlicher Längen und verteilt an den Nebenwurzeln. Sie sind hauptverantwortlich für die Bereitstellung der Mineralien für die Pflanze.
Coffee Farm Training, Nicaragua. Der Agronom Oscar zeigt eine massive Pfahlwurzel.
An den Blättern erkennen wir - wie bei anderen Bäumen auch - mit welcher Kaffeeart oder Varietät wir es gerade zu tun haben. Die Größe, die Form, die Dicke und die Wölbungen sind alles Indikatoren, die uns helfen, die Pflanze zu analysieren.
Ich kann mich gut erinnern, als Don Oscar, Agronom aus Costa Rica, im Coffee Farm Training 2019 in Nicaragua sagte:
“Blätter sind nicht nur für die Photosynthese da. Die Blätter reden mit uns. Der Kaffeebaum braucht die Blätter, damit er mit uns kommunizieren kann. Sie zeigen uns, wie es dem Kaffeebaum gerade geht.”
In der Tat - wer sich Blätter gezielt anschaut, sieht immer mehr Details.
Ein ausgewachsener Kaffeebaum hält nach Wintgens zwischen 22 und 45 m2 Blätter. Nach ca. 35 Tage sind Blätter ausgewachsen, bevor sie mit ca. 10 Monaten abfallen und der Baum neue Blätter macht.
Wintgens schreibt ebenfalls, dass ein Kaffeebaum ca. 6g Wasser pro Quadratdezimeter täglich verdunstet. Nehmen wir mal an, dass ein Kaffeebaum ca. 35 m2 Blätter hat, dann wären das 3500dm2, mal 6g Wasser = 21l Wasser.
Ein durchschnittlicher Kaffeebaum verdunstet nach den Angaben von Wintgens also ca. 20l pro Tag.
Und hier sehen wir eindeutig, wie wichtig die Wasserspeicherkapazität des Bodens für die Kaffeeproduktion ist. Canephora wird in aller Regel künstlich bewässert, da sie deutlich anfälliger für Feuchtigkeitsstress sind und geregelte Bewässerungszeiten benötigen, damit sich die Blüten wie erhofft entwickeln.
Die Kaffeefrüchte werden Kaffeekirschen genannt - jedoch wird im Unterschied zu einer uns bekannten Kirsche nicht das Fruchtfleisch gegessen und der Samen entsorgt, sondern umgekehrt. In einer Kirsche liegen sich in der Regel zwei Samen gegenüber - es sind die späteren Kaffeebohnen.
Eine Blüte kurz vor dem Aufgehen (rechts) und ca. sechs Monate alte Kaffeekirschen in Nicaragua.
Bei einer Reise nach Costa Rica meinte mal ein Produzent zu mir, dass er noch seine Kinder besuchen müsse. “Es seien mittlerweile so viele” - ich wollte ich indiskret sein, und nach der genauen Anzahl fragen. Es stellte sich aber bald heraus, dass er mit “niños” seine Kaffeepflanzen meinte. Die Analogien reichen noch weiter, denn die meisten Arabica-Pflanzen benötigen von der Blüte bis zur Produktion reifer Kaffeekirschen etwa neun Monate, während Canephoras bis zu 11 Monaten benötigen.
Die Kaffeepflanze ist eigentlich von stabilen Wettermustern abhängig, damit sie sich gut entwickeln kann. Nur verschieben sich diese Wettermuster seit Jahren, was von Produzierenden jährlich viel Flexibilität einfordert. Im besten Fall wäre es nach der Ernte trocken, damit sich der Kaffeebaum gestresst fühlt: die Knospe würde so ihre Ruhepause unterbrechen, da sie sich gezwungen sieht, zu überleben.
Während der Trockenphase drosselt die Pflanze ihren Stoffwechsel massiv. Sie verengt die Kapillaren und bereitet sich auf den ersten Regen vor. Wenn dieser kommt, ist die Pflanze bereit, Wasser schnell aufzunehmen und die Zellteilung in der Knospe findet schon 3 bis 4 Tage später statt.
Je nach Niederschlagsmenge werden mal mehr, mal weniger Knospen aktiviert - mehrere kurze und zeitlich versetzte Regengüsse ergeben eine weniger uniforme Reifung und führen schliesslich dazu, dass die Kaffeekirschen zeitlich versetzt geerntet werden müssen. Kurzum: instabile Wettermuster führen zu mehr Pflückarbeit.
Noch wird mehrheitlich Kaffee der Arabica-Sorte getrunken. Seit mehreren Jahren pendelt sich das Verhältnis 40/60 ein. 40% des angebauten Kaffees ist Canephora (umgangssprachlich Robusta), 60% sind Arabicas. Gleichzeitig wird aber auch immer mehr Kaffee getrunken, also wachsen die Anteile beider Sorten gleichzeitig, bleiben aber bisher in dem 40/60-Verhältnis.
Die steigenden Temperaturen und die sich schnell wandelnden Wettermuster aber werden den Anstieg des Canephora-Anteils beschleunigen, wie auch den von Hybriden: eine Sonderform der Kreuzung, bei der zwei genetisch deutlich unterschiedliche Linien gekreuzt werden.
Der Hybrid “Marsellesa” beispielsweise, den wir in Nicaragua viel anbauen, ist eine Kreuzung der Varietäten “Villa Sarchi” und “Timor Hybrid 823/2”. Das sind zwei Varietäten, die auf “natürliche” Weise im Feld kaum in Kontakt kommen würden. Marsellesa wurde vom CIRAD, dem französischen Agrarofrschungszentrum entwickelt und über mehr als zehn Jahre hinweg in verschiedenen zentralamerikanischen Ländern getestet, bevor der Hybrid auf den Markt kam.
Bei World Coffee Research findet ihr die gängigsten angebauten Kaffee-Varietäten katalogisiert und nach Herkunft klassifiziert.
Während Arabica und Robusta bisher die wohl verbreitetsten Begrifflichkeiten im Kaffeebereich waren, dürfte sich das in den kommenden Jahren ändern. Die Kaffeeproduktion ist massiv vom Klimawandel betroffen, was unter anderem die Forschung an neuen Hybriden und Varietäten weiterhin beschleunigt.
Um die neuen Begrifflichkeiten einzuordnen, haben wir alle geläufigen gesammelt und taxonomisch festgehalten: der Einordnung in systematische Kategorien. Der Erste, der Arabica Kaffee botanisch eingeordnet hat, war der Schwede Carl von Linne. Er schuf die Grundlage der modernen botanischen und zoologischen Taxonomie.
Bevor Linne 1753 in seniem Species Plantarum das grundlegende Klassifizierungssystem für Pflanzen geschaffen hat, wurde Kaffee zum ersten Mal 1713 von Jussieu etwas eingeordnet:
Jasminum arabicum, laurio folio, cujus femen apudnos coffee deciur (Arab Jasmine, with laurel type leaves, the beans of which we call coffee) (Wintgens 2009)
Wenn wir Linnes System der Pflanzen-Einteilung nehmen und die uns bekannten Kaffeebegriffe einsetzen, sieht die Kaffee-Taxonomie so aus.
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Kaffee TaxonomieIn den nächsten Artikeln werde ich über die Unterschiede der am meisten Angebauten Arten Arabica und Canephora schreiben, über deren Zukunftsfähigkeit und was die Forschung dazu beiträgt.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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