Die Geschichte des Kaffees in der Schweiz ist bisher nur wenig bearbeitet worden. Dabei sind die letzten Jahrhunderte voll von Anekdoten: bunten, aber auch düsteren. Mit dem Ernährungsforscher Dominik Flammer beleuchten wir die letzten dreihundert Jahre in einem Podcast.
Dominik Flammer hält nicht so viel von zurückhaltenden Statements. Im geht es ganz klar um das Sichtbarmachen von Alltäglichem.
„Louis XIV war der Influencer Number One für den europäischen Adel in Sachen Genuss!“
Oder aber:
„Diese Romantisierung, dass früher alles besser gewesen sein soll, ist absoluter Blödsinn.“
Kaffee ist etwas, was für viele Menschen alltäglich wurde. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass ein Produkt um die halbe Welt reist, per Jeep, per Truck, per Schiff, und wieder per Truck, geröstet wird und immer noch schmeckt. Jedes Mal, wenn ein Sack Kaffee aus einer fernen Welt bei uns in der Rösterei ankommt, ist das ein kleines Wunder für mich. Nur ist Kaffee aber eben für Viele zum Alltag geworden. Um etwas, was so alltäglich ist, neu zu betrachten, braucht es griffige Bilder und Aussagen.
Dominik Flammer, Ernährungsforscher, Autor und Kurator des Culinarium Alpinum in Stans, sprach mit mir in einem Podcast über die Geschichte des Kaffees in der Schweiz. Ja, Kaffee war mal alltäglicher, dann, als er zu Hause geröstet wurde. Mit der fortschreitenden Industrialisierung aber erst kam das Zeitalter der Kaffeeröstereien. „Man war mehr ausser Haus, arbeitete fast rund um die Uhr, Kaffee selber zu rösten, lag nicht mehr drin.“
Die oft rezipierte Kaffeegeschichte fängt mit zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 an. Doch nicht in Wien wurden die ersten Kaffeehäuser gegründet, sondern in Italien. Es waren Exil-Bündner, vor allem Zuckerbäcker, die sich zuerst in Norditalien, und danach in ganz Europa niedergelassen und Kaffeehäuser gegründet haben.
Kaffeehäuser waren zu Beginn Zechkneipen, Spelunken, oft wurde da den Lüstereien gefrönt.
Dominik Flammer
Wir reden über die Vermengung der bürgerlichen Ideale, des Kaffees, von Status und Religion, und welchen Einfluss dies auf das Konsumverhalten hatte.
„Es braucht halt einfach Historiker, die frei denken können und sich Traditionen entledigen“, sagt Dominik Flammer im Podcast. Die Schweizer Kolonialgeschichte war lange bekannt, aber sie wurde historisch erst in den letzten 40 Jahren präzise dokumentiert.
Kaffee war damals ein Kolonialgut, das angepflanzt und geerntet werden musste. Dafür wurden Menschen aus Westafrika in Südamerika versklavt, zumeist auf grossen Plantagen. Schweizer Familien besassen nicht nur Plantagen, sondern waren stark in der Logistik involviert – sie organisierten die Transporte der Sklaven, sowie die Transporte des Kaffees. „Ein Dreiecksgeschäft“, wie es Dominik Flammer im Podcast nennt.
Kaffee war lange teuer und wurde auch deshalb als Genussmittel verstanden. Jedoch hat der damalige Konsum wenig mit dem heutigen Verständnis von Kaffee zu tun.
Fünf Kaffeebohnen mussten für eine TasseKaffee reichen, dazu Ersatzprodukte wie z.B. Zichorie, oder Lupinen, Zucker, und Gewürze.
Dominik Flammer
Sind wir nicht froh, dass wir heute Kaffee anders erleben dürfen? Das Gespräch mit Dominik Flammer zeigte mir auf, wie die Geschichte des Kaffees in der Schweiz ihren Lauf nahm, aber vor allem, dass wir auf einem guten Weg sind, Kaffee wieder mehr zu geniessen.
Vor zweihundert Jahren wurde Kaffee zu Hause geröstet – es war einfach günstiger, und gehörte sich so. Heute rösten Viele ihren Kaffee auch wieder zu Hause und verstehen, sehen und riechen die Prozesse, sind nah dabei.
Interessanterweise fing die berühmte Kaffeerösterei Schwarzenbach im Zürcher Niederdorf erst 1929 mit dem Rösten an, zuvor verkaufte sie Rohkaffee an Kunden.
Dominik Flammer zeigt kurzweilig auf, wie lebendig die Geschichte des Kaffees ist, und wie wir alle einen Bezug dazu haben. Viel Spass beim Hören.
Literaturtipp:
Roman Rossfeld, Genuss und Nüchternheit
Geschichte des Kaffees in der Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 2002.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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