Im Osten Mexikos, in Córdoba, führen zwei Schwestern eine Familien-Ranch in vierter Generation. Seit wenigen Jahren spezialisieren sie sich auf direkte Kontakte mit Röstereien, schaffen neue Märkte und Perspektiven, und haben einen entkoffeinierten Kaffee mit den wohl kürzesten Wegen weltweit lanciert.
Eigentlich war der Plan der beiden Schwestern Melisa und Jimena mal ein anderer, als eine Ranch zu übernehmen - Melisa studierte Architektur und es zog sie in die Schweiz. Jimena studierte Agrarwissenschaft in Mexiko, und entschied sich nach dem Studium, zusammen mit Melisa den Familienbetrieb zu übernehmen.
Familienunternehmen folgen einer anderen Dynamik als viele andere Unternehmen.
Die familiäre Bande kann Motivation, Hindernis, aber auch Verpflichtung und Stolz bedeuten. Melisa und Jimena haben selber mitverfolgt, wie die letzten 20 Jahre herausfordernd waren. Sie haben die Hoffnungen und den Schmerz erlebt, und gesehen, dass es gerade in Mexiko an der Zeit ist, dass junge Frauen in einer Männerdomäne Zeichen setzen können.
Melisa und Jimena, 2022
Die Rancho San Felipe wird heute also in vierter Generation der beiden Schwestern geführt. Ihr Vater, Adrián, hat die Ranch auf Kaffee getrimmt, das Netzwerk enorm vergrößert und wurde so zu einem Fixstern in der Kaffeeregion um Córdoba, Veracruz.
Die Rancho San Felipe selbst produziert heute fast keinen Kaffee mehr, sondern macht Experimente mit Varietäten und bietet Führungen in den eigenen Gärten an.
Melisa zeigt uns die Baumschule auf der Rancho San Felipe, wo sie nebst Kaffee auch Schattenbäume, Obstbäume und Blumen züchten.
Die Ranch kauft Kaffeekirschen oder schon entpulpten Kaffee in der Region an, verarbeitet diesen weiter, trocknet und sortiert ihn, bis er exportfähig ist. Die Rancho San Felipe stellt so ihre eigenen Blends zusammen, die Benjamin Distl, Melisas Partner, dann vornehmlich nach Europa exportiert.
Gleichzeitig aber verarbeitet die Ranch auch Kaffee im Auftrag der Produzierenden, röstet ihn sogar, oder sucht Marktkanäle in Mexiko selbst. Dieser breite Ansatz hilft der Ranch, ganz verschiedene Felder abzudecken und das Potenzial ihrer Infrastruktur zu nutzen.
Auf der Ranch in Córdoba gibt es neben einem Beneficio Humedo - also dem Ort, wo die Kirschen entpulpt, fermentiert und gewaschen werden - auch ein Beneficio Seco. Dort wird der getrocknete, sich im Pergamino befindliche Kaffee von Fremdkörpern gereinigt, von der Pergamenthaut getrennt, nach Größe und Dichte geordnet, abgesackt und verkostet.
Die Rancho San Felipe bei Nacht.
Die Anlagen sind schon lange in Betrieb und Melisa und Jimena haben langfristige Pläne. Schritt für Schritt möchten sie die Ranch erneuern. Die Geschichte der Ranch reicht mehr als ein Jahrhundert zurück, wo auch das Areal noch grösser war. Es hat sich viel verändert und die beiden haben Lust, neue Projekte zu starten und auf alten Beziehungen aufzubauen.
Und genau dieser Ansatz manifestiert sich im entkoffeinierten Kaffee, welche die Rancho San Felipe nun für uns macht. Vor ein paar Jahren fragten wir Benjamin Distl, ob sie Lust hätten, einen Spezialitäten-Decaf zu machen?
Der Hauptgrund war, dass die Rancho San Felipe und Descamex, eine der weltweit zwei Unternehmen, die Rohkaffee nur mit Wasser und Druck entkoffeinieren, fast Nachbarn sind. Beide Unternehmen sind in Córdoba ansässig. Und weil Melisas und Jimenas Vater die Verantwortlichen von Descamex auch schon kannte, war die Zusammenführung der Punkte schnell gemacht.
Cupping bei Descamex, die unseren Decaf nur mit Wasser entkoffeinieren
Es fehlte aber noch ein Rohkaffee, und der wird nun von Rafael Reyes beigesteuert. Reyes kaufte Tausende neue Setzlinge der Gesha-Varietät, unwissend, dass es gar keine Gesha war. Er erhoffte sich, damit in einem sehr gefragten Markt erfolgreich zu sein. Nach zwei Jahren stellte sich dann heraus, dass es sicher keine Gesha-Varietäten waren und er beim Kauf "misinformiert" wurde.
Das war just der Zeitpunkt, als Melisa und Jimena mit ihm in Kontakt kamen - auch Rafael Reyes hatte schon mit ihrem Vater Kontakt, doch damals waren die beiden Schwestern noch jünger.
In der Erinnerung von Reyes jedoch waren es wohl immer noch “die Mädchen” (las niñas), die eines Tages auf der Farm standen und nannte sie nun fortan genau so.
Im Gegensatz zu früher aber kamen sie jetzt mit einer Geschäftsidee, wie sie Reyes helfen konnten. Der Kaffee von Reyes passte sensorisch genau in den Bereich, wie auch wir uns den entkoffeinierten Kaffee wünschten. Süsslich, Noten von Ahornsirup, schwer, bei mittlerer Säure.
Die Farm von Rafael Reyes in der Sierra de Gallego
Reyes liefert die Kirschen, die Rancho San Felipe entpulpt und fermentiert sie, trocknet die Bohnen und liefert sie zu Descamex, zehn Minuten die Strasse hoch in Richtung Orizaba.
Anfänglich produzierten sie eine Charge mit Descamex, was etwa 2,5 Tonnen Rohkaffee entspricht. Die Nachfrage nach einem hyper-lokalen, entkoffeinierten Kaffee stieg fortwährend an - bei uns und bei befreundeten Röstereien - so dass die Rancho San Felipe nun die Menge verfünffacht.
Don Ramiro, der Farm-Leiter, mit dem Sueño - von der Farm in die Rösterei und zurück
Heute sind also Melisa und Jimena am Steuer der Ranch, Beni kümmert sich um den Export und die Vermarktung des Kaffes, sowohl im In-, als auch im Ausland. Beni selbst röstet auch Kaffee für den lokalen Markt. Als er 2021 bei uns in einem Röstkurs war, überraschte er alle, als er sagte, dass er seine Röstzeit von “60 Minuten auf 40 Minuten reduzieren konnte.”
Der alte 70kg-Röster - er läuft, und läuft, und läuft
Natürlich ist das eine lange Röstzeit, aber die Maschine gibt nicht mehr her. Für die Bedürfnisse vor Ort aber hat er das System so weit optimiert, dass sie mehr und mehr für Produzenten Private Label rösten und auch mit der eigenen Marke einen zusätzlichen Absatzkanal schaffen konnten.
Wer Kaffee macht, macht nicht nur Kaffee.
Die Aufgaben sind so vielschichtig auf der Rancho San Felipe in Córdoba, weil viele der Projekte historisch gewachsen sind. Da gibt es den großen Garten, wo sie Blumen und Sukkulenten züchten und im eigenen Blumenladen in Orizaba verkaufen. Da gibt es die Modellfarm, wo sie Experimente mit Varietäten machen, verschiedene Kompostarten testen, Früchte anbauen und Touristen durch die Farm führen und Kaffeebäume zeigen. Da gibt es den Bienenstock für den eigenen Honig und die Trocknungsbetten für ihre Spezialitätenlots, welche schon fast zehn Prozent der totalen Ernte ausmachen.
Besuch im Oktober 2022, v.l.n.r.: Philipp, Michel (Team Kaffeemacher:innen), Melisa, Jimena, Patrizio (Ballon Coffee Roasters), Beni
Melisa, Jimena und Benni haben sich ein riesiges Projekt vorgenommen. Wir sind beeindruckt, mit wieviel Hingabe, Kreativität und Bescheidenheit in die Fußstapfen einer Familientradition treten. Sie haben ihr Programm, sind offen für Projekte, erspüren, wo sich ein Spezialitätenmarkt hin entwickelt und wissen genau, dass sich die Arbeit mit Kaffee nie nur um Kaffee dreht, sondern um Menschen, Beziehungen und alte Banden, die sie nun in eine neue Ära überführen.
Keine Angst, wir spammen dich nicht zu.
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Grüsse Pascal
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