2023/24: : 52 Tonnen
Head of Content, algrano
Treuhänderischer Gesellschafter Kaffeemacher GmbH, Einkauf Rohkaffee
Die Associacao do Produtores do Alta da Serra, kurz APAS, ist eine unserer strategischen Rohkaffeepartnerinnen. Die Mehrheit unseres Rohkaffees beziehen wir von APAS. Seit 2017 importieren wir ihren Kaffee, sind im engen Austausch und fördern nun zusammen die biologische Produktion von Kaffee in Brasilien.
Vielleicht kennt ihr den APAS-Espresso, den wir auch in unseren Kursen verwenden. Oder ihr habt schon mal Boa Vista getrunken, einen nussig-fruchtigen Espresso, oder Alessandro, den elegant-beerigen Filterkaffee. Alle drei Kaffees beziehen wir von der APAS Kooperative in Sao Goncalo do Sapucai im Süden von Minas Gerais.
Für brasilianische Verhältnisse ist APAS eine kleine Kooperative. Sie produziert 22,000 Sack von 60kg, was umgerechnet ca. 69 Schiffscontainer von 20 Fuß Länge sind. Wir nehmen dieses Jahr (Oktober 2022 bis Oktober 2023) zwei volle Container von APAS, beziehen also ca. 3% ihrer totalen Produktion.
Ca 4% der 22,000 Sack Kaffee welche die Kooperativen-Mitglieder produzieren sind biologisch angebaut, das sind etwa 860 Sack Kaffee. Von diesen 860 Sack Bio-Kaffee kaufen wir fast die gesamte Menge.
Kennen gelernt haben wir APAS über unsere Freunde von algrano, die für uns die Mehrheit der Rohkaffeeabwicklung übernehmen. APAS war die erste Kooperative, die an den Plattform-Ansatz von algrano glaubte und nun fortan mehr und mehr ihre Kaffees und ihre Geschichte selber, digital vermarktete.
Nach einem ersten Kauf von gut 2000kg Rohkaffee 2018 folgte eine Reise von Felix nach Brasilien, wo er mit Maurico, Alessandro und Ademilsson den Grundstein für eine fruchtbare Zusammenarbeit legte. Die Drei haben die Kooperative gegründet und mittlerweile 71 Produzierende gefunden, die sich mit der Arbeit von APAS identifizieren.
Alessandro Hervaz, Mitgründer von APAS, war 2016 auf verschiedenen Kaffeemessen in Europa und verstand, dass die hiesigen märkte ein großes Potenzial für biologisch produzierte Lebensmittel bieten. Zurück in Brasilien wollte er selbst versuchen, seinen Kaffee biologisch anzubauen.
"Es gab aber keine Produkte, keine Technik, kein Know How in unserer Region, also suchten wir alle Info zusammen und luden Experten zu Workshops ein."
Mehrere APAS-Mitglieder sahen auch bei ihrer Art der Kaffeeproduktion Potenzial für eine naturnahe Art der Bewirtschaftung. Sie entschieden sich, auf bestimmten Teilen ihrer Farm neu biologisch zu der produzieren.
Arnoldo sagte im Kick-Off Meeting, dass er doch etwas verrückt sei, weil er von einem Tag auf den anderen 100% seiner Farm nur noch biologisch bewirtschaften würde. Außer ihm sind jedoch alle Produzierenden etwas vorsichtiger und tasten sich schritt- resp. Flächenweise an immer mehr biologischen produzierten Kaffee heran. Patricia sagte, dass sie, sofern sie erfolgreich sei, irgendwann 80% Bio und nur noch 20% konventionell anbauen möchte.
Auf die Frage, warum sie alle die Umstellung auf die biologische Produktion machen würden, antworteten sie:
Ich möchte mehr für die Umwelt tun und in einer Form Kaffee produzieren, die eine Zukunft garantiert und mich selbst stolz macht.
- Ana Maria Borges Ferreira
Auf meinem Grundstück arbeite ich seit 2019 nur noch nach biologischen Prinzipien. Warum? Weil ich das Leben und die Erde liebe.
- Arnaldo Ramalho Pereira
Indem ich Bio produziere, denke ich anders über Landwirtschaft und unseren Planeten nach. Ich helfe mit, ein solides Fundament für die Zukunft zu bilden.
- Jarbas Cleto Lopes
Ich bin zuerst Mal stolz, Bio zu produzieren. Und dann geht es mir um die Gesundheit meiner Familie. Ich habe keine Lust, Gift zu spritzen.
- José Antonio de Souza
Marcia sagte im Kick-Off aber auch, dass sie sich über diese Entwicklung freue. Sie sagte, wie auch José, wie froh sie sein, dass sie sich auch keine Sorgen mehr über die Gesundheit machen müssten. "Die Lebensqualität ist deutlich gestiegen."
Alle acht Produzierenden haben bisher ihren Bio-Kaffee nicht über APAS verkauft, weil die Kooperative noch keine Käuferschaft finden konnte. Sie verkauften ihren Bio-Kaffee über die COOPFAM Kooperative und den konventionell produzierten über APAS.
Mit dem Entschluss, dass wir nun fast den gesamten Bio-Kaffee von APAS abnehmen, können sie ihren Kaffee nun über APAS verkaufen. «Das ist eine schöne Entwicklung», so Maria, «und ich hoffe, dass dies so bleibt.» Sie wie auch andere in dem Kick-Off Meeting waren sehr motiviert, waren aber auch etwas vorsichtig – zu Recht.
Als Rösterei können wir einfacher sagen, dass wir nun gerne mit Bio-Kaffee arbeiten möchten. Für Produzierende ist das aber nicht ein schneller Entscheid. Es muss viel gerechnet und alle Eventualitäten berücksichtigt werden. Was sind die versteckten Kosten? Was sind die opportunitätskosten? Was, wenn?
So überraschte es nicht, dass alle noch ein zweites Standbein haben. Nein, es ist eine pragmatische Entscheidung der 8er-Gruppe, nebst dem Bio-Feld noch ein konventionelles Feld als Versicherung zu bewirtschaften.
Einer der Gründe, warum die APAS-Bio-Pioniere etwas vorsichtig sein dürften, ist der Fakt, dass Bio-Kaffee in Brasilien fast inexistent ist. Nach vielen Gesprächen mit Händlern und Exporteuren herrscht die Auffassung, dass weniger als 0,5% des totalen Ertrags in Brasilien bio ist. Das ist verschwindend klein. Und in einem so großen Land wie Brasilien verschwinden diese Beispiele nicht nur aus der Wahrnehmung, sondern auch aus dem Sichtfeld: es gibt einfach so wenige Bio-Kaffeefarmen, so dass diese aus dem Bewusstsein verschwinden.
Und dann ist der Preissprung von konventionell zu Bio eben deutlicher als in anderen Gegenden. Die brasilianische Kaffeeproduktion ist auf Effizienz getrimmt und auf die mechanische Bewirtschaftung ausgerichtet. Bio, und damit verbunden ist auch die Behandlung des Bodens ohne synthetische Mittel, erfordert mehr Arbeitseinsatz. Arbeitskosten in Brasilien sind hoch, was auf den Preis einen Einfluss hat.
Börsenpreis + Differential, vorgegeben durch APAS
z.B.: 200cts/lb (Pfund) + 30cts/lb
Mit der Bio-Zertifizierung in Umstellung ist es nun so:
z.B.: 200cts/lb + 130cts/lb
Mit der fertigen Zertifizierung liegen wir dann bei
z.B.: 200cts/lb + 150cts/lb
Für den Bio-Kaffee im Umstellung bezahlen wir 75% des finalen Bio-Preises. Wir haben das APAS so angeboten, sie haben das aber nicht erwartet. "Der Kaffee ist ja noch nicht Bio", meinten sie. "Ja, aber das Risiko habt ihr ja trotzdem." - "Ja, aber warum würdet ihr das mit decken wollen?"
Es war, als ob wir aneinander vorbeireden würden. APAS meinte, wir würden zu viel bezahlen. Aber wie uns Esteban Acosta mal in einem Workshop argumentierte, sieht er eine "historische Schuld" der Käuferschaft, wenn es um die Definition von Preis geht. Ein tiefer Kaffeepreis ist das Resultat eines in sich schlüssigen Systems, das anfänglich auf Sklavenarbeit beruhte, der Preis deshalb günstig war, und nun immer noch der Anspruch besteht, dass Kaffee günstig sein muss. "Nein", sagte Esteban, "die historische Schuld bedeutet, dass Kaffee rückwirkend teurer sein muss, also auch die Konversion in ein anderes Anbausystem gedeckt sein muss."
Ob historisch, oder einfach pragmatisch argumentiert: das Risiko bei der Herstellung eines landwirtschaftlichen Produkts in Umstellung von konventioneller auf biologische Produktion birgt Risiken. Anfälligere Pflanzen oder tieferer Ertrag sind die Haupttreiber. Das ist ein Risiko, und dieses muss von der Käuferschaft, die spezielle Anforderungen hat wie wir, mitgetragen werden.
Ja. Einhergehend mit der Bio-Zertifizierung (ca. Frühling 2023) werden wir die Preise moderat anheben.
«Der dürfte nächstes Jahr etwas geringer werden», sagten die Produzierenden, die noch in der Umstellung von Konventioneller auf Bio-Produktion sind.
«Bis jetzt aber haben wir noch keine merkliche Einbuße in Ertrag. Die Böden sind noch gut gedüngt von früher.»
So erstaunlich diese Aussage ist, so verstörend ist sie. Sie zeigt, welche langfristigen Folgen ein hoher Düngereinsatz bringen kann. Mineralische Dünger können in hohen Dosen die Böden übersalzen und Mikroorganismen dauerhaft vernichten. In dem Fall wäre der Boden nur noch ein Substrat, eine inerte Masse, die mit Mineralien angereichert wird. Die biologische Produktion aber sieht da einen anderen Ansatz vor: den Humusaufbau, das damit einhergehende Wachstum an Kleinstlebewesen im Boden, die Absorbtionsfähigkeit für Wasser und nicht zuletzt als Speicher für Co2.
Wie sich der Ertrag pro Hektar in den kommenden Jahren entwickeln wird, muss sich weisen und ist gleicherweise für APAS, wie auch für uns eine Ungewissheit.
Die Umstellung von nicht-Bio auf Bio-Produktion dauert drei Jahre, wenn vorher konventionell angebaut wurde. Eine solche Umstellung erfordert viel botanisches und agronomisches Verständnis, wie auch eine Umkehr im Denken – vor allem in Brasilien.
An der World of Coffee in Mailand, der alljährlichen Kaffeemesse, habe ich mit verschiedenen Brasilianischen Produzenten und Exporteuren gesprochen. Ich wollte von ihnen hören, wie sie zu biologischem Kaffeeanbau in Brasilien denken. Das kleine Gedankenexperiment zeigte grosse Fragen auf. Mehrheitlich ging es darum:
«warum macht ihr das?»
«das ist doch teuer»
«Brasilien sei dafür nicht geeignet.»
«das ist ein großes Risiko.»
Die Herausforderungen, Chancen und Risiken einer Umstellung werden wir an anderer Stelle genauer beschreiben. Eine meiner drängendsten Fragen im letzten Gruppen-Call war aber die nach dem Dünger, der für die Bio-Produktion verwendet wird.
Grundsätzlich lassen sich die Nährstoffe, die eine Pflanze braucht, in Makro- und Mikronährstoffe unterscheiden. Wenn die Makronährstoffe Stickstoff (N), Phosphor(P) und Kalium (K) gut abgedeckt sind, ist das schon mal die halbe Miete - allerdings brauchen Pflanzen, die auch Ertrag abwerfen sollen, weitere Nährstoffe wie Magnesium, Zinc oder Bor, die für die Blüten- oder Kirschenentwicklung mitverantwortlich sein können.
Bisher wurden die NPK-Makronährstoffe mit einer fertigen Mischung ausgebracht. Für den biologischen Anbau braucht es aber eine Alternative, die APAS so ersetzt:
N: Stickstoffbasierter Mineraldünger wird durch Knochenmehl ersetzt
P: Phosphor wird durch verschiedene, natürlich vorkommende Mineralien ersetzt
K: Kalium wird durch Cascara, das getrocknete Fruchtfleisch der Kaffeekirsche ersetzt
Mittlerweile wissen wir, dass bis zu 75% der Emissionen einer Tasse Kaffee im Ursprungsland emittiert werden. Der Löwenanteil davon ist die Produktion und die Anwendung von Dünger.
Wir haben aus der Saison 2021/2022 zwei Container zu je 320 Sack von APAS kontraktiert. Das sind knapp 40 Tonnen Rohkaffee. Im Verhältnis zur gesamten Menge Kaffee, die wir in der Saison 2021/2022 einkaufen werden, macht der APAS-Kaffee ca. 40% aus.
Wenn wir also 40% unseres Rohkaffee-Einkaufs auf einmal auf Bio umstellen, senken wir damit auch unseren eigenen ökologischen Fußabdruck. Diese Messung werden wir in den kommenden Monaten genauer machen und hier kommunizieren.
Wir möchten das Messen von Emissionen und der Sequestrierung von Co2, die Möglichkeiten und Folgen genau verstehen und arbeiten dazu gerade an einem Tool. Wir möchten in Zukunft fähig sein, genaue Aussagen darüber treffen zu können, was wir mit dem Einkauf von Rohkaffee in einem gesamtheitlichen Ansatz bewirken: wie viele Treibhausgase werden emittiert, was ist unser ökologischer Fußabdruck, wie hoch sind die realen Kosten, die wir durch unseren Ausstoß mit verursachen? Es gibt was zu tun.
Als Kaffeerösterei verstehen wir unsere Position auf der Kaffeekette. Wir gehören zu den Akteuren, die durch ihren Kaufentscheid bestimmen, was überhaupt auf einem Röstkaffeemarkt landet. Da wir die deutlich größere Auswahl an Kaffees haben, die wir potenziell kaufen können, sehen wir uns auch in der größeren Verantwortung als Konsumierende, zu entscheiden, was guter Kaffee ist. Konsumierende können nur aus einem kleinen Sortiment von Röstereien auswählen und sind in ihrer Entscheidungsgewalt deutlich schwächer als Röstereien.
In dem Moment, wenn wir als Social Business für unsere Kundschaft entscheiden, welchen Kaffee wir einkaufen und geröstet verkaufen, nehmen wir unserer Kundschaft eine oft viel zu schwierige Entscheidung ab. Nicht die Kund:innen müssen entscheiden, welcher Kaffee nun nachhaltiger ist als ein anderer – das ist die Aufgabe von uns als Kaffeerösterei.
Unser APAS-Kaffee wird nun Bio. Doch Bio ist kein endlicher Zustand, es ist hier der Anfang eines Prozesses, Kaffee so naturnah wie möglich zu produzieren – in einer Region, die stark von steigenden Temperaturen und instabileren Wettermustern geprägt sein wird. Die Bemühungen, die es braucht, Kaffee langfristig und naturnah produzieren zu können, werden über das Bio-Siegel hinausgehen müssen. Das weiß auch APAS und bildet sich fort, um Farmen in Zukunft resilienter gegen äußeren Einflüsse und die Kaffeeproduktion immer mehr als zirkulären Prozess gestalten zu können.
Die Reise geht los.
Basel und São Gonçalo do Sapucaí, Sommer 2022
Bisher nehmen 13 Produzierende am Projekt Teil - doch um das steigende Bio-Kaffee Volumen zu decken, stoßen neue Produzenten zu Apas dazu