Was ist Grind-by-Sync? Espressomaschinen und Mühlen für den Heimbereich, die miteinander kommunizieren. Die Mühlen-Maschinen-Kombi stellt fest, dass der Espresso zu schnell oder zu langsam läuft, und stellt entsprechend die Mühle nach. Nach 15 Jahren Erfahrung in der Gastronomie schwappt die Technologie jetzt zu uns nach Hause. Aber mal ehrlich: Brauchen wir das wirklich? Funktioniert das System auch zuhause, wenn wir nur wenige Espressi pro Tag brühen? Welche Maschinen und Mühlen bringen das Potenzial mit, um schnell und gut Espresso zu brühen?
Oder ist das Ganze nur ein Marketing-Hype, um Kaffeetrinkerinnen und Kaffeetrinker vom Vollautomaten zur Siebträgermaschine zu locken, ohne wirklich in der Qualität zu überzeugen?
Mit diesem Blogbeitrag beleuchte ich die Technologie, ordne sie kritisch ein und liefere den Herstellern ein Pflichtenheft, was ich von einer gut funktionierenden Espresso-Mühlen- und Maschinen-Kombination erwarte. Und eines sei hier klar gesagt: Wenn eine Mühle 100 Gramm für das Einstellen eines Espresso verbraucht, dann funktioniert euer System nicht!
Das Versprechen: Nie wieder Mahlgrad einstellen
„Wunderbar, Synchronisierung!“, könnte man sagen. Aber so einfach ist das nicht. Es gibt unglaublich viele Fallstricke, die wir beim Ausrollen der Synchronisierung zwischen Mühlen und Espressomaschinen in der Gastro-Praxis erlebt haben. Die Technologie verspricht, Schwankungen durch Bohnenalterung, Feuchtigkeit oder Sortenwechsel automatisch auszugleichen und die Extraktion „ins Ziel zu bringen“. Aber wie viel Kaffee wird benötigt, um die Mühle einzustellen? Wer macht zuhause überhaupt ausreichend Kaffee, um der Mühle die nötigen Daten und Bezüge zum Umstellen zu liefern? Und muss ich die Grundeinstellung der Mühle nicht dennoch immer selbst vornehmen?
So funktioniert’s – theoretisch
Die Espressomaschine misst während des Bezugs zentrale Parameter – Durchfluss, Zeit, Extraktionsverhalten – und sendet diese Daten an die Mühle. Weicht die Extraktion von den Zielwerten ab, passt die Mühle automatisch den Mahlgrad an. Die Messung des Durchflusses beschränkt sich bei vielen Maschinen auf das Gesamtvolumen, nicht auf die Messung von Millilitern pro Sekunde.
Die technischen Voraussetzungen, damit Grind-by-Sync funktioniert
Damit die Synchronisierung zwischen Mühle und Maschine funktioniert, müssen beide gewisse Voraussetzungen erfüllen. Ich unterscheide zwischen Basis-Voraussetzungen und Ideal-Kriterien, welche eine bessere Synchronisierung und Steuerung des Bezugs ermöglichen.
Was die Mühle braucht:
- Grind-by-Weight-Funktion (absolut zwingend!)
- Elektronisch verstellbarer Mahlgrad
- Wenig Totraum!
- Kommunikationsschnittstelle zur Maschine (seriell, WLAN, Bluetooth)
Was die Maschine braucht:
- Präzise Volumetrik (ohne gute Volumetrik gibt’s falsche Signale an die Mühle)
- Stabile Extraktionsparameter (Druck, Temperatur, Flow)
- Im Idealfall: Sensoren für Durchfluss und Steuerung von Flow/Druck
Warum Grind-by-Weight unverzichtbar ist
Ohne Grind-by-Weight funktioniert das System nicht sinnvoll. Warum? Wenn die Mühle den Mahlgrad verstellt, ändert sich auch die Ausgabemenge des Kaffees bei zeitgesteuerten Mühlen. Wird feiner gemahlen, kommt weniger Kaffee raus. Das verfälscht das Brühverhältnis, und die Extraktion gerät völlig aus dem Ruder. Man verstellt zwei Parameter gleichzeitig – ein No-Go für reproduzierbare Ergebnisse.
Auch eine elektronische Mahlgradverstellung ist natürlich Voraussetzung – aber das versteht sich von selbst. Wenig Totraum ist ebenfalls eine zentrale Voraussetzung. Denn eine sauber Überprüfung der Nachstellung funktioniert nur dann, wenn wir beim nächsten Bezug auch wirklich den "neuen Mahlgrad" im Siebträger sehen und nicht noch einige Gramm der alten Mahlung.
Die aktuellen Systeme im Überblick
Mahlkönig Xenia & E64 WS Home – Der deutsche Präzisionsansatz
Mahlkönig hat mit der Übernahme von Xenia nicht nur eine Maschine, sondern eine ganze Plattform ins Portfolio geholt. Die Xenia bleibt technisch ein eigenständiges System mit durchdachten Details: Zwei Edelstahlboiler, aktiv beheizte Brühgruppe, und sie ist relativ zügig betriebsbereit. Darüber hinaus ist sie in der Lage, Druckprofile zu steuern.
Die E64 WS Home („Weight & Sync“) bringt erstmals Grind-by-Weight aus dem Hause Mahlkönig für unter 1 000 Euro in den Heimmarkt. Das System heisst hier „Grind-by-Sync“: Die Xenia misst während des Bezugs und sendet die Daten an die Mühle, die dann automatisch den Mahlgrad anpasst.
Preis: Mahlkönig Xenia 2 999 Euro für die Maschine, E64 WS 999 Euro. Marktstart: Die E64 WS ist ab November beim Händler zu haben. Die Produktion der Xenia läuft im Dezember an, Auslieferung Ende Dezember/Anfang Januar.
Quick Mill & Eureka Tio – Die italienische Überraschung
Eine Kooperation, mit der wir nicht gerechnet hätten: Quick Mill und Eureka präsentieren mit der Tio ein kooperierendes System. Die Maschine (1,4 Liter Dampfboiler, Thermoblock für die Brühgruppe) hat Quick Mill clever überarbeitet: Statt des bisherigen Systems mit eigenem Bajonett gibt’s jetzt ein klassisches Zweier-Bajonett. Endlich lassen sich handelsübliche Siebträger einsetzen – das macht die Maschine im Alltag deutlich flexibler.
Die Eureka-Mühle basiert auf der bekannten Libra, wurde aber weiterentwickelt: Grössere Mahlscheiben, integrierte Waage und die Smart-Technologie, die schon länger Feedback gibt. Das System arbeitet mit einer „2–3 Sekunden-Regel“: Bleibt die Extraktion dreimal zwei bis drei Sekunden ausserhalb der Zielrange, verstellt die Mühle den Mahlgrad.
Preis: Ca. 2600 Euro für die Maschine und 800 Euro für die Mühle. Marktstart: 1. Quartal 2026
Die anderen Spieler
Nunc: Technologisch wahrscheinlich am ausgereiftesten. Bidirektionale Kommunikation, grosser Datenspeicher mit vorigen Bezügen, vermutlich lernfähig mit AI-Unterstützung. Plus: Es können „nunc.-Bohnen“ verwendet werden, welche die Maschine natürlich kennt. Das macht die Grundeinstellung einfacher. Maschinenproduktion laut Hersteller gestartet, Auslieferung aber weiterhin schleppend.
Sage/Breville Oracle Dual Boiler: Der Pionier mit integrierter Mühle. Reagiert verzögert und stellt sich feiner oder gröber, wenn der Kaffee deutlich ausserhalb der Range läuft.
Rocket: Hat die Technologie bereits bei der Gastro-Maschine mit Bentwood im Einsatz. Wahrscheinlich bald in Kombination mit einer volumetrischen Maschine wie der Bicoca und der neuen Home-Mühle.
Der Reality-Check: Was die Hersteller nicht erzählen
Das 60-Gramm-Problem
Rechnen wir mal durch: Die meisten Systeme reagieren erst nach zwei bis drei fehlgeschlagenen Bezügen. Bei 18–20 Gramm Kaffee pro Bezug sind das schnell 60 Gramm, bevor die Mühle überhaupt reagiert. Bei einer 250 g-Packung für 10–20 Euro ist das frustrierend. Und dann ist erst mal die Mühle dran mit Nachstellen – aber nagelt sie dann den nächsten Shot? Wenn nicht, sind schon 80 Gramm weg.
Der Unterschied zur Gastro
In der Gastronomie ziehen wir einen Espresso nach dem anderen. Die Mühle stellt sich über den ganzen Tag sanft nach. Sie hat eine Grundeinstellung, und wenn durch hohe Luftfeuchtigkeit die Extraktionszeiten sich verlängern, wird sie behutsam nachjustiert.
Zuhause? Wann machen wir tatsächlich mehrere Bezüge hintereinander? Und wie genau regelt das System dann nach? Wie gut ist es in der Lage, eine ausreichend starke Mahlgradverstellung vorzunehmen? Und was ist bei Mühlen mit Totraum? Wird der alte Kaffee, der noch vom letzten Bezug im alten Mahlgrad in der Kammer liegt, ausgemahlen?
Die Technologie funktioniert nur bei regelmässigem Gebrauch
Diese Technologie funktioniert eben nicht, wenn man „in drei Tagen drei Bezüge macht“. Wenn ihr wirklich den Kaffee im Bohnenbehälter für drei Tage lasst, wird keiner dieser Bezüge konstant in der Range sein, weil man ohnehin die Mühle dann sanft nachstellen muss.
Die Grundeinstellung bleibt Handarbeit
Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass ihr die Grundeinstellung aller Mühlen-Maschinen-Kombinationen selbst vornehmen müsst. Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren. Wenn dann regelmässig Kaffees bezogen werden – ja, dann spielt die synchronisierte Espressomühlen-Maschinen-Kombination ihre Stärke aus.
Für wen macht’s wirklich Sinn?
Sinnvolle Einsatzszenarien:
- Haushalte mit mehreren Kaffeetrinker:innen – einer stellt ein, die anderen profitieren
- Büros und WGs – viele Bezüge, konstante Qualität
Weniger sinnvoll für:
- Einsteiger:innen – die Grundeinstellung müsst ihr trotzdem lernen
- Gelegenheitstrinker:innen – zu wenige Bezüge für sinnvolle Regelung
- Purist:innen – die den Einstellprozess als Teil des Rituals sehen
Das Testprotokoll: So werden wir die Systeme prüfen
- Der Extremtest: Mahlgrad völlig verstellen (15 Sekunden Durchlaufzeit, Zielgrösse 25 Sekunden)
- Die Messung: Wie viele Bezüge / Gramm Kaffee braucht das System bis zur Zielrange?
- Der Alltag: Morgens, mittags, abends je ein Bezug über mehrere Tage
- Die Konstanz: Wie sauber hält das System die Extraktion bei wechselnden Bedingungen wie Luftfeuchtigkeit oder trockener Luft (Stichwort statische Ladung)?
Flow-Profil statt nur Mahlgrad
Das wirkliche Potenzial liegt im Zusammenspiel von guten Grind-by-Weight-Mühlen mit sehr wenig Totraum und Espressomaschinen mit Flow-Kontrolle. Klassische Espressomaschinen mit statischem Pumpendruck können lediglich die nächste Mahlung und damit den nächsten Bezug beeinflussen. Maschinen mit Flow-Steuerung haben einen riesigen Vorteil: Eine Roxy, Maro, Decent oder auch die Xenia können nicht nur sagen „okay, wir stellen nächstes Mal den Mahlgrad um“, sondern können in dem Moment, wenn der Bezug läuft, reagieren.
Bezug läuft zu schnell? Die Maschine reduziert den Flow oder Druck, um die Extraktion dennoch in den Zielkorridor zu bringen. Bei der Maro nennt sich diese Funktion „Smart Profiler“.
Nehmen wir an, der perfekte Mahlgrad gibt uns 100 % Potenzial-Extraktion. Mit Flow-Anpassung während des Bezugs kommen wir vielleicht auf 75 % – immer noch deutlich besser als ein versauter Shot. Wenn ein Shot rausknallt, der nicht rausknallen soll, also offensichtlich channelt, zu grober Mahlgrad und alles spritzt, dann ist der Kaffee im Eimer. Mit Flow-Steuerung sieht’s besser aus – und schmeckt besser.
Fazit: Evolution, nicht Revolution
Grind-by-Sync ist eine logische Weiterentwicklung, aber kein Heilsbringer. Die Technologie kann helfen, wird aber voraussichtlich zunächst niemanden vom manuellen Einstellen befreien. In Haushalten mit vielen Kaffeetrinker:innen oder im Büro macht sie durchaus Sinn. Für den ambitionierten Heimbarista, der seinen morgendlichen Espresso zelebriert? Eher nicht.
Was wir uns wünschen würden: offene Standards. Wenn Eureka oder Mahlkönig ihre Schnittstellen öffnen würden, könnten alle Maschinen davon profitieren und sich Roxy, Maro, Meticulous und Co. einfach andocken. Diese Maschinen sind wie dafür gemacht, mit einer Mühle zu kommunizieren.
Die Technologie ist da, sie funktioniert – in der Gastro seit 15 Jahren mehr oder weniger. Ob sie den Heimmarkt erobert, hängt davon ab, ob die Hersteller verstehen, dass drei vergeudete Shots am Morgen niemanden glücklich machen. Wir bleiben dran und testen, sobald die Geräte verfügbar sind.
Wir sind gespannt, was die Hersteller uns nächstes Jahr liefern werden. Für den Moment bleiben wir wie immer neugierig und offen – aber auch ein wenig die skeptischen Spassbremsen aus Basel.
Euer Benjamin Hohlmann























