Der Hikaru V60 von Hiroia liefert die präziseste Temperaturkonstanz, die wir je bei einer Filterkaffeemaschine gemessen haben. Trotzdem empfehlen wir ihn nicht, wegen konzeptioneller Schwächen bei der Wasserverteilung und einem Preis von 700 bis 800 CHF, der in keinem Verhältnis zur Leistung steht.
Warum wir diesen Test gemacht haben
Wir testen systematisch Filterkaffeemaschinen. Der Hikaru ist die teuerste Consumer-Maschine in dieser Reihe. Unser Testprotokoll umfasst Temperaturmessung, Brühprofilanalyse und sensorische Bewertung. Wir haben sowohl mit dem mitgelieferten Hario V60 als auch mit alternativen Brühern gearbeitet.
Technische Daten
Der Hikaru arbeitet mit einem Boiler-System (700 ml, 830 W) und bietet einen einstellbaren Temperaturbereich von 80 bis 96 Grad Celsius. Die Flow-Rate lässt sich in 10 Stufen von 1 bis 10 ml pro Sekunde regeln. Es gibt 9 Voreinstellungen, aufgeteilt in drei Grössen (S/M/L) und drei Röstgrade (Light/Medium/Dark Roast). Die Steuerung erfolgt über eine App (iOS 13+, Android 10+) oder über drei Tasten am Gerät. Die Dusche hat 5 Löcher auf einem Durchmesser von etwa 2,5 cm, was einem 1-Euro-Stück entspricht. Die Aufheizzeit beträgt bei kaltem Start etwa 4 Minuten.
Temperaturmessung: Bestwert
Wir haben drei Brühungen auf verschiedenen Temperaturstufen gemessen. Profil 2 mit 92 Grad, Profil 3 mit 85 Grad und Profil 4 mit 96 Grad. Die Maschine hält die eingestellte Temperatur über die gesamte Brühung hinweg mit maximal 1 Grad Abweichung. Das ist aussergewöhnlich. Zum Vergleich: Selbst hochwertige Consumer-Maschinen zeigen 3 bis 5 Grad Temperaturschwankungen.
Die drei Temperaturkurven verlaufen nahezu horizontal. Bei 85 Grad bleibt die Maschine zwischen 84,1 und 85,5 Grad. Bei 96 Grad zwischen 95,2 und 96,0 Grad. Bei 92 Grad zwischen 91,4 und 93,1 Grad.
Die technische Erklärung: Der Boiler wird vor dem Brühen vollständig aufgeheizt. Es gibt keinen Durchlauferhitzer-Effekt, der bei höheren Flow-Rates an seine Leistungsgrenze käme. Daraus resultiert die konstante Temperatur.
Wasserverteilung: das Kernproblem
Die Dusche hat fünf Löcher auf einem Durchmesser von etwa 2,5 cm. Das Wasser trifft zentriert auf das Kaffeebett. Bei einem konischen Filter wie dem Hario V60 bedeutet das: Die Mitte wird stark verwirbelt, der Rand wird weniger von der Verwirbelung erfasst, was zu Unterextraktion führt.
Wir haben 18 g Kaffee mit Profil S (290 ml, 5 Pulse) gebrüht. Das Wasser erreicht die äusseren Kaffeepartikel kaum. Sie werden zwar benetzt, aber nicht verwirbelt. Die Extraktion ist ungleichmässig. Das schmeckt man: Der Kaffee hat wenig Körper, im Nachgeschmack bleibt eine leicht trockene Note.
Bei manuellen Pour-Overs steuern wir die Wasserverteilung durch Bewegung der Kanne oder durch spiralförmige Gussmuster. Die Hikaru-Dusche ist starr. Sie kann das nicht kompensieren.
Lösungsversuch: Orea und Melodrip
Wir haben die Brühung mit einem Orea Flat-Bed-Filter wiederholt. Zusätzlich haben wir einen Melodrip zwischen Maschine und Filter gesetzt. Der Melodrip hat selbst eine Dusche, die das Wasser nochmals verteilt und die Aufprallgeschwindigkeit reduziert.
Unser Rezept: 16 g Kaffee, 250 ml Wasser, 5 Pulse à 50 ml, 93 Grad (Light Roast).
Das Ergebnis: Der Kaffee, ein Ruanda Natural namens Shyira, ist saftig, balanciert, hat Körper. Die Trockenheit ist weg. Die Extraktion ist deutlich gleichmässiger.
Das Setup funktioniert, aber es erfordert zwei zusätzliche Komponenten (Orea, Melodrip), die nicht mitgeliefert werden und deren Existenz die meisten Käufer nicht kennen. Eine 800-CHF-Maschine sollte ohne solche Workarounds guten Kaffee brühen.
App und Bedienung
Die App, sie heisst Hikaru Brew, ist funktional. Wir können Flow-Rate (1 bis 10 ml/s), Temperatur (80 bis 96 Grad), Pulse-Sequenzen und Pausen-Zeiten frei einstellen. Es gibt eine Rezept-Bibliothek mit bewährten Profilen von Profis. QR-Code-Sharing funktioniert. Die Verbindung über Bluetooth 5.2 ist stabil.
Unsere Kritik: Die voreingestellten Profile (S/M/L) lassen sich nicht direkt editieren. Wir müssen sie in eigene Profile kopieren. Das ist umständlich. Die App kündigt ein Update an, das diese Funktion nachrüstet, zum Testzeitpunkt war es noch nicht verfügbar.
Die Maschine hat keine Rinse-Funktion. Wir können das Papier nicht vorspülen, ohne ein eigenes Profil dafür anzulegen. Das ist ein Detail, aber es zeigt: Die Software ist nicht zu Ende gedacht.
Die Bedienung ohne App: Drei Tasten (S/M/L) am Gerät. Das reicht für den Alltag. Die App brauchen wir nur für individuelle Rezepte.
Boiler versus Durchlauferhitzer: Warum Boiler hier Sinn machen
Wir haben uns gefragt, warum Hiroia einen Boiler verbaut. Die Aufheizzeit von 4 Minuten ist länger als bei einem Durchlauferhitzer, zum Beispiel bei der Melitta Epos mit etwa 1,5 Minuten.
Die physikalischen Grenzen: Ein Durchlauferhitzer kann bei hohen Flow-Rates (zum Beispiel 10 ml/s) die Zieltemperatur nicht halten. Wir haben das in anderen Tests gemessen: Bei 6 bis 7 ml/s fällt die Temperatur um 3 bis 5 Grad ab. Die Hikaru brüht mit bis zu 10 ml/s, das geht nur mit einem Boiler oder einem Durchlauferhitzer mit hohem Energie-Input.
Der Trade-off: Wir akzeptieren die 4 Minuten Aufheizzeit, wenn die Maschine dann auch liefert. Bei der Hikaru liefert sie, aber nur in einem sehr spezifischen Setup, siehe Orea-Lösung.
Vergleich: Sage Smart Brewer, Melitta Epos
Beide kosten etwa ein Viertel, also 200 bis 250 CHF. Beide haben materiell ähnliche Verarbeitung, einen Kunststoff-Metall-Mix. Die Melitta Epos hat eine grössere Dusche mit besserem Verteilmuster. Die Sage hat eine Shower-Head mit radialem Design. Beide brühen ohne Workarounds besseren Kaffee als die Hikaru im Standard-Setup.
Die Temperaturkonstanz: Die Epos schwankt um 2 bis 3 Grad, die Sage um 3 bis 4 Grad. Das ist schlechter als die Hikaru, aber in der Praxis weniger relevant, wenn die Wasserverteilung stimmt. Eine gleichmässige Extraktion bei 91 Grad ist besser als eine ungleichmässige bei exakt 93 Grad.
Die Preisrechtfertigung: Die Hikaru kostet das Vierfache. Dafür bekommen wir: präzisere Temperatur, mehr Einstellmöglichkeiten, LED-Lichtshow während des Brühens. Das rechtfertigt den Aufpreis nicht.
Wer sollte diese Maschine kaufen?
Die Zielgruppe laut Hersteller: Coffee-Profis und Enthusiasten, die reproduzierbare Brühungen wollen.
Die reale Zielgruppe aus unserer Sicht: Personen, die erstens bereits einen Orea oder ähnlichen Flat-Bed-Filter besitzen, zweitens bereit sind, mit Melodrip oder ähnlichen Adaptern zu experimentieren, drittens Temperaturkonstanz über alles andere stellen und viertens 800 CHF übrig haben und den Weg des geringsten Widerstands nicht gehen wollen.
Nicht geeignet für: Alle, die eine Plug-and-Play-Lösung erwarten.
Design und Verarbeitung
Die Maschine sieht aus, als wäre sie für Instagram gebaut worden. Geriffelte Oberfläche, LED-Ring, runde Formen. In der Praxis nervt das LED-Blinken nach 20 Minuten. Es lässt sich nicht abschalten, nur der Signalton.
Die Verarbeitung: Solide. Kunststoff (Tritan, BPA-frei), Edelstahl-Dusche, Glas-Kanne. Nichts klappert, nichts wirkt fragil. Aber auch nichts rechtfertigt 800 CHF.
Fazit
Die Hikaru V60 ist eine technische Demonstrationseinheit für Temperaturkonstanz. Wer Temperaturkurven für Forschungszwecke braucht, findet hier das beste Tool auf dem Consumer-Markt. Wer einfach guten Kaffee trinken will, greift zur Melitta Epos, spart 600 CHF und freut sich über bessere Tassen.
Unser Rat: Wenn Hiroia eine Version mit optimierter Dusche baut, grösserer Durchmesser, mehr Löcher, eventuell rotierend, testen wir gerne nochmal. Bis dahin: übersprungen.